Dr. iur. Christian Saueressig
I. Regelungsgehalt
Rz. 7
§ 296 Abs. 1 ZPO regelt den Fall, dass das Gericht eine Schriftsatzfrist gesetzt hat und diese von einer Partei nicht eingehalten worden ist; sie also noch nach Fristablauf vorgetragen hat.
Werden aber Angriffs- und Verteidigungsmittel (§ 282 Abs. 1 ZPO) unter Verstoß gegen bestimmte Fristen vorgebracht, stellt deren Zurückweisung den gesetzlichen Regelfall dar, von dem nur bei ausreichender Entschuldigung oder fehlender Verzögerung abgewichen werden darf.
Aber BGH NJW-RR 2017, 1018:
Zitat
Hat das Gericht eine Frist zur Stellungnahme zum Gutachten gem. § 411 Abs. 4 S. 2 ZPO gesetzt, so kann nach Fristablauf eingehender Parteivortrag, der sich nicht auf die im Gutachten behandelte Beweisfrage bezieht, nicht nach § 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen werden.
Führt die Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens zu einer Verzögerung, wird das Verschulden des verspätet Vortragenden vermutet; ihn trifft die Darlegungslast für eine Entschuldigung, wobei eine Glaubhaftmachung grundsätzlich nur nach Verlangen des Gerichts erforderlich ist.
Ein Verschulden ist zu bejahen, wenn die Partei nicht mit der erforderlichen Sorgfalt handelt, die in der konkreten prozessualen Situation und aufgrund ihrer persönlichen Verhältnisse von ihr zu erwarten ist; es genügt also schon einfache Fahrlässigkeit. Diese ist bereits gegeben, wenn ein Beweismittel aus Nachlässigkeit, das heißt aus Versehen, nicht benannt wurde.
BGH BeckRS 2012, 4075:
Zitat
Dies gilt nicht nur bei bewusstem Zurückhalten aus Prozesstaktik oder aus anderen Gründen, sondern auch, wenn ein weiterer Zeuge zunächst nur aus Nachlässigkeit nicht benannt wurde, weil im Rahmen von § ZPO § 296 Abs. 1 ZPO bereits leichte Fahrlässigkeit schadet.
Ist die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten, muss sie sich dessen Verschulden nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Dabei stellt die Rechtsprechung an die anwaltlichen Sorgfaltspflichten strengere Anforderungen als an die der Partei selbst.
Aber BGH NJW 1986, 3193:
Zitat
Das Gericht darf ein verspätetes Vorbringen nicht wegen Unglaubwürdigkeit des vorgetragenen Entschuldigungsgrundes zurückweisen, ohne daß es die Partei zur Glaubhaftmachung aufgefordert und ihr dazu in angemessener Weise – regelmäßig unter Einräumung einer kurzen Frist – Gelegenheit gegeben hat. Das gilt auch, wenn die Partei bereits von sich aus eine Glaubhaftmachung versucht hat, das Gericht diese jedoch nicht für ausreichend hält.
Rz. 8
§ 296 Abs. 2 ZPO regelt die Verletzung der allgemeinen Pflicht, so frühzeitig vorzutragen, dass der Gegner seinerseits noch rechtzeitig zum Termin erwidern kann. Anders als bei § 296 Abs. 1 ZPO (hier genügt einfache Fahrlässigkeit) muss hier für eine Verspätung grobe Nachlässigkeit vorliegen.
BGH NJW 1987, 501, 502:
Zitat
Grob nachlässig im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO handelt die Prozesspartei, wenn sie ihre Prozessförderungspflicht in besonders hohem Maße vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen […]
Die Partei muss nicht mit Verschleppungsabsicht handeln, also etwa den Zeugen aus prozesstaktischen Gründen zunächst nicht benennen. Geschieht dies aber, ist grobe Nachlässigkeit erst recht gegeben. Wer ein Beweismittel zu einem zentralen Punkt des Rechtsstreits bewusst zurückhält, um erst einmal abzuwarten, zu welchem Ergebnis die Erhebung der bisher angebotenen Beweise führt, verstößt in grober Weise gegen die allgemeine Prozessförderungspflicht des Zivilprozesses. Denn danach ist die Partei gehalten, den ihr günstigen Vortrag in gesammelter Form und so bald wie möglich in den Rechtsstreit einzuführen, um diesen einer möglichst umfassenden und sachlich richtigen Entscheidung zuzuführen.
Von einer groben Nachlässigkeit kann z.B. keine Rede sein, wenn eine Partei erst in der Verhandlung neue Informationen bekommt, was häufig der Fall ist:
Beispiel
Ein Zeuge wird zu dem Inhalt vertraglicher Absprachen vernommen. Er bekundet, dass bei den Verhandlungen noch eine weitere Person zugegen war, was dem Beweisführer bislang nicht bekannt war. Dieser kann sich auf deren Zeugnis berufen, und das Gericht hat ihn nicht zu fragen, woher er denn wisse, dass dieser Zeuge seine Version der Vertragsvereinbarung bestätigen werde. Das wird der Zeuge deshalb tun, weil er die Wahrheit zu sagen hat, und das, was der Beweisführer vorträgt – selbstverständlich – die Wahrheit ist.
Die Berufung auf diesen Zeugen führt zwar zu einer Verzögerung des Rechtsstreits, weil ein neuer Termin zur Beweisaufnahme anzuberaumen ist. Aber diese Verzögerung ist dem Beweisführer nicht anzulasten; sie ist nicht von ihm verschuldet, schon gar nicht grob nachlässig.
Rz. 9
Ist gegen eine der in § 296 Abs. 1 und 2 ZPO geregelten Pflichten verstoßen worden, kommt eine Zurückweisung von Parteivorbringen wegen Verspätung in Betracht, wenn
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der Rechtsstreit ohne Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens insgesamt entscheidungsreif wäre; es kann also kein Teilurteil hin... |