Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 45
Ist ein Vorbringen in der ersten Instanz zu Recht als verspätet zurückgewiesen worden, bindet diese Präklusion gemäß § 531 Abs. 1 ZPO die Berufungsinstanz.
Ist also in dem erstinstanzlichen Urteil Vorbringen als verspätet zurückgewiesen worden, hängen die Berufungsaussichten nicht zuletzt davon ab, ob dem Gericht dabei ein Rechtsfehler unterlaufen ist; denn nur dann kann der Berufungsführer sein erstinstanzlich verspätetes Vorbringen in der Berufungsinstanz wiederholen.
Die Chancen, auf der Suche nach Rechtsfehlern fündig zu werden, sind aber nicht schlecht. Es empfiehlt sich für einen Anwalt, von seinem Recht auf Akteneinsicht nach § 299 Abs. 1 ZPO Gebrauch zu machen, weil sich manche Fehler erst nach einem Blick in die Akte erschließen. Gegen die Versagung der Akteneinsicht steht der Partei ein Beschwerderecht in Form der Erinnerung (§ 573 Abs. 1 ZPO) zu. Sofern das Prozessgericht in seiner Entscheidung über die Erinnerung eine Akteneinsicht ebenfalls ablehnt, steht der Partei noch ein Beschwerderecht nach §§ 567 ff. ZPO zu.
Rz. 46
Folgende die Rechtswirkung des § 531 Abs. 1 ZPO ausschließende Fehler kommen in Betracht und lassen sich anhand dieser (nicht abschließenden) Checkliste prüfen:
▪ |
Das Gericht hat eine zu kurze Frist zur Klageerwiderung gesetzt; nach BGHZ 124, 71, 74 kann bei einem komplizierten Sachverhalt selbst eine Fünf-Wochen-Frist noch zu kurz sein. |
▪ |
Der BGH hat aber auch schon die Auffassung vertreten, dass ein Anwaltsverschulden vorliege – das sich der Mandant gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss –, wenn der Anwalt keine Fristverlängerung beantragt habe. |
▪ |
Die Frist ist nicht vom Vorsitzenden, sondern vom Beisitzer gesetzt worden, ohne dass dieser als Stellvertreter des Vorsitzenden tätig wurde. |
▪ |
Die Fristsetzung ist nicht unterschrieben, sondern nur mit einer Paraphe versehen worden. |
▪ |
Die beglaubigte Abschrift der dem Anwalt zugestellten Fristsetzung ist nicht mit der Unterschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle versehen worden. |
▪ |
Dem Kläger ist die Frist zur Stellungnahme auf die Klageerwiderung gesetzt worden, bevor diese eingegangen war. |
▪ |
Der Fristsetzung zur Klageerwiderung fehlt die Belehrung über die Folgen der Fristversäumnis, § 277 Abs. 2 ZPO; eine Mitteilung des Wortlautes des § 296 Abs. 1 ZPO reicht zur Belehrung nicht aus, die Belehrung muss laienhaft verständlich sein, auch wenn die Partei bereits anwaltlich vertreten ist. |
▪ |
Das Gericht hat nicht darauf hingewiesen, dass eine Zurückverweisung wegen Verspätung in Betracht kommt (und dadurch der Partei die Möglichkeit genommen, ihre Verspätung zu entschuldigen). |
▪ |
Die Zurückverweisung im frühen ersten Termin war unzulässig, weil es sich dabei um einen sogenannten Durchlauftermin handelte, vgl. Rdn 16. |
▪ |
Das Gericht hat das Vorbringen eines verspätet eingereichten Schriftsatzes pauschal zurückgewiesen, ohne konkret die verspäteten Angriffs- und Verteidigungsmittel zu benennen. |
▪ |
Das Gericht hat seine Entscheidung auf eine falsche Norm gestützt, z.B. auf § 296 Abs. 1 ZPO statt auf § 296 Abs. 2 ZPO; eine Nachbesserung durch das BerGer ist nicht möglich. |
▪ |
Das Gericht hat nicht alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen, die Verspätung durch prozessvorbereitende Maßnahmen auszugleichen. |
▪ |
Dass die betroffene Partei nach diesen Verfahrensfehlern rügelos im Sinne von § 295 ZPO verhandelt hat, hindert sie nicht, sich auf diese Mängel zu berufen. |