Rz. 54
§ 613a Abs. 1 S.2–4 BGB berücksichtigt ferner nicht das Problem der nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer, sog. "Außenseiter", mit denen der Betriebsveräußerer die Anwendung eines Tarifvertrags einzelvertraglich, durch "statische oder dynamische Bezugnahmeklauseln", vereinbart hatte, denn § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB ist auf Rechtsnormen zugeschnitten und Bezugnahmeklauseln fehlt die erforderliche Rechtsnormqualität. Die Erstreckung dieser Abrede auf den Betriebserwerber ergibt sich unmittelbar aus § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. Dies kann ggf. zu einer Ungleichbehandlung der übernommenen Arbeitnehmer führen, wenn für die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer gem. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB der neue Tarifvertrag gilt, der aber im Vergleich zum alten schlechtere Arbeitsbedingungen beinhaltet. Ob für die Außenseiter entsprechend die Bezugnahme auf den neuen Tarifvertrag erfolgen soll, hängt von der Auslegung der dynamischen Bezugnahmeklausel ab (APS/Steffan, BGB, § 613a Rn 142).
Rz. 55
Es gibt kleine dynamische Bezugnahmeklauseln, bei denen sich die Dynamik allein auf das zeitliche Moment bezieht, auch Gleichstellungsabreden genannt, und große dynamische Bezugnahmeklauseln, auch Tarifwechselklauseln genannt, die auch den Wechsel zu einem anderen Tarifvertrag, etwa einer anderen Branche, als für das Arbeitsverhältnis verbindlich mit einbeziehen (BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06).
Rz. 56
Hinsichtlich dieser Auslegung hat das BAG in einer Entscheidung v. 14.12.2005 (4 AZR 536/04) eine grundlegende Position bezogen. Danach ist zur Auslegung solcher Bezugnahmeklauseln nach dem Datum des Abschlusses zu differenzieren.
Rz. 57
Für Klauseln, die vor dem 1.1.2002, also vor der Schuldrechtsreform, abgeschlossen wurden, gilt die bis dahin geltende st. Rspr. zur Auslegung weiterhin. Danach handelt es sich bei Bezugnahmeklauseln in einem von einem tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag auf einen für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifvertrag regelmäßig um eine Gleichstellungsabrede (BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95; BAG v. 4.9.1999; BAG v. 26.9.2001 m.w.N.). Es ist also nur die Gleichstellung der nicht tarifgebundene Arbeitnehmer mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern desselben Betriebes gewollt. Eine Gleichstellungsabrede scheidet allerdings aus, wenn der Arbeitgeber selbst nicht tarifgebunden ist oder wenn der Arbeitsvertrag auf nach ihrem Geltungsbereich nicht einschlägige Tarifverträge verweist. Da der Zweck der Gleichstellungsabreden die Gleichstellung der tarifgebunden Arbeitnehmer mit den nicht tarifgebundenen Arbeiternehmern in einem Betrieb ist, führt diese Auslegung folglich auch zu keiner Ungleichbehandlung. Daher gelten Tarifverträge statisch, also in der Fassung, in der sie im Zeitpunkt des Betriebsüberganges gültig waren, weiter, wenn der Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber erfolgt ist (BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00; BAG v. 16.10.2002).
Rz. 58
Lediglich in einer Fallgestaltung führt auch eine Gleichstellungsabrede zu unterschiedlichen Auswirkungen bei tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern. Gilt bei einem tarifgebundenen Betriebserwerber ein anderer Tarifvertrag als bei dem vorherigen Arbeitgeber, so gilt dieser ggf. gem. § 613a Abs. 1 S. 3 BGB für tarifgebundene Arbeitnehmer. Hat der Arbeitnehmer jedoch zusätzlich zu seiner Tarifbindung eine Bezugnahmeklausel in seinem Arbeitsvertrag vereinbart, so findet der alte Tarifvertrag auch über § 613a Abs. 1 S. 1 BGB Eingang in das Arbeitsverhältnis, die Klausel hat konstitutive Wirkung (BAG v. 20.2.2002 – 4 AZR 123/01; BAG v. 19.3.2003). Somit steht den individualvertraglichen Vereinbarungen ein Tarifvertrag entgegen, sodass nach § 4 Abs. 3 TVG die für den Arbeitnehmer günstigere Regelung Anwendung findet (BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01; BAG v. 29.8.2007; a.A. LAG Düsseldorf v. 20.7.2006 – 15 [4] Sa 62/06, n.v.). Für den nicht tarifvertraglich gebundenen Arbeitnehmer gilt § 613a Abs. 1 S. 3 BGB und somit auch der neue Tarifvertrag nicht, sodass es zu keiner Günstigkeitsabwägung kommt. Er ist an den alten Tarifvertrag gebunden. Eine analoge Anwendung des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB auch für Rechte und Pflichten aus § 613a Abs. 1 S. 1 BGB lehnt das BAG ab (BAG v. 29.8.2007– 4 AZR 767/06).
Rz. 59
Beispiele
Nach dem Abschluss einer Bezugnahmeklausel, die als Gleichstellungsabrede auszulegen ist,
(1) |
geht der Betrieb auf einen nicht tarifgebundenen Betriebserwerber über: Der Inhalt des Tarifvertrages gilt für alle Arbeitnehmer statisch weiter. Für die tarifgebundenen Arbeitnehmer ergibt sich dies sowohl aus § 613a Abs. 1 S. 2 BGB als auch aus § 613a Abs. 1 S. 1 BGB, für die nicht tarifgebunden Arbeitnehmer allein aus § 613a Abs. 1 S. 1 BGB. |
(2) |
geht der Betrieb auf einen an denselben Tarifvertrag gebundenen Betriebserwerber über: Der Inhalt des Tarifvertrages gilt für alle Arbeitnehmer dynamisch weiter. Für die ebenfalls tarifgebundenen Arbeitnehmer ergibt sich dies bereits aus der kollektivrechtlichen Fortgeltu... |