Rz. 311
Die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung kann hier nicht in ihrer ganzen Breite dargestellt werden. Sinnvoll erscheint es dagegen, ausgewählte Punkte der Zeugenvernehmung herauszunehmen und diese detaillierter zu erläutern.
a) Zeugenvernehmung durch Videoübertragung
Rz. 312
Für die Vernehmung besonders schutzbedürftiger Zeugen wurde die Möglichkeit geschaffen, diese getrennt von den Anwesenheitsberechtigten zu vernehmen, § 247a StPO. Die Vernehmung wird in Bild und Ton (Videokonferenz) übertragen. Die Vorschrift steht gleichrangig neben den Alternativen Ausschluss des Angeklagten sowie Ausschluss der Öffentlichkeit. Diese Form der Vernehmung soll insbesondere kindliche Verletzte vor psychischen Belastungen bewahren, die vermutet werden, wenn diese in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten vernommen werden, und gleichzeitig unbefangenere Aussagen von Zeugen ermöglichen. Außer dem besonders schutzbedürftigen Zeugen und einem etwaigen (anwaltlichen) Beistand oder der psychosozialen Prozessbegleitung gem. § 406g StPO nehmen alle Verfahrensbeteiligten im Gerichtssaal an der Vernehmung per Videosimultanübertragung aus dem Raum, in dem sich der Zeuge befindet, teil, während sich der Zeuge zeitgleich in einem anderen Raum aufhält und an der Videokonferenz in der Weise teilnimmt, dass für ihn Bild und Ton aus dem Gerichtssaal übertragen werden.
Gem. § 247a Abs. 2 StPO erstreckt sich der Anwendungsbereich auch auf die Vernehmung des Sachverständigen, sofern es nicht um die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder die Anordnung von Sicherungsverwahrung gem. § 246a StPO geht.
Gemäß § 255a Abs. 1 StPO gelten die §§ 251, 252, 253 und 255 StPO für die Vorführung der Videoaufzeichnung entsprechend. Die Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren kann gem. § 255a Abs. 2 StPO in den dort genannten Verfahren durch die Videoaufzeichnung der früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden. Voraussetzung hierfür aber ist, dass der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an dieser Vernehmung mitzuwirken, und der Zeuge einer vernehmungsersetzenden Vorführung der Aufzeichnung in der Hauptverhandlung unmittelbar nach der aufgezeichneten Vernehmung nicht widersprochen hat. Entsprechendes gilt für den Verletzten in den dort genannten Verfahren, sofern dieser bei Tatbegehung unter 18 Jahren war oder eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung vorliegt. Eine ergänzende Vernehmung des Zeugen bzw. Verletzten bleibt allerdings stets zulässig.
b) Ausschließung des Angeklagten
Rz. 313
Grundsätzlich darf und muss der Angeklagte bei der Hauptverhandlung persönlich anwesend sein. Ist dies nicht der Fall, kann darauf die Revision nach § 338 Nr. 5 StPO gestützt werden. Andererseits gibt es eine Fülle von Ausnahmetatbeständen, wie etwa die §§ 231 Abs. 2, 231a–231c, 232, 233 StPO. Der § 247 StPO stellt dagegen einen Fall der lediglich vorübergehenden Entfernung des Angeklagten dar, weil sich diese lediglich auf die Vernehmung eines Zeugen oder Mitangeklagten erstreckt. Die Frage, wie sich die Verteidigung hierzu stellen soll, ist nicht allgemein zu beantworten, sondern hängt von den konkreten Umständen des Falles ab. Der Verteidiger sollte sich fragen, ob er das den Angeklagten und den Aussagenden umfassende Beziehungsgeflecht richtig einzuschätzen vermag. Nicht selten hat die persönliche Anwesenheit des Angeklagten eine positiv-kontrollierende Wirkung auf den Zeugen. Im Zweifel sollte die Verteidigung aber (deklaratorisch) zustimmen. Dies nicht so sehr, weil kaum Schaden für den Angeklagten entstehen kann, wenn der Verteidiger angemessen vorbereitet ist, sondern auch deswegen, weil die Revision nach § 338 Nr. 5 StPO wegen unzulässiger Entfernung selbst dann möglich ist, wenn der Angeklagte zugestimmt hat. § 247 StPO unterscheidet vier Entfernungsalternativen:
Rz. 314
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Entfernung wegen der Gefährdung der Wahrheitsfindung, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass ein Mitangeklagter oder ein Zeuge in Anwesenheit des Angeklagten keine wahrheitsgemäße Aussage macht, § 247 Abs. 1 S. 1 StPO; |
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Entfernung zum Schutz einer Person unter 18 Jahren, wenn durch die Anwesenheit des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das seelische oder körperliche Wohl des Zeugen zu befürchten ist, § 247 S. 2 Alt. 1 StPO; |
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Entfernung zum Schutz erwachsener Zeugen, wenn durch die Anwesenheit des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit der Zeugen besteht, § 247 S. 2 Alt. 2 StPO; |
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Entfernung zum Schutz des Angeklagten, wenn durch die Erörterung über seinen Zustand und seine Behandlungsaussichten ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist, § 247 S. 3 StPO. |
Rz. 315
In allen Fällen bedarf es für die Entf...