Rz. 35
Speziell zu strafrechtlichen Gebührenfragen vgl. Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2017; Schneider/Wolf, AnwaltKommentar RVG, 8. Aufl. 2017, S. 2591 ff.; Leipold, Anwaltsvergütung in Strafsachen, S. 115 ff.; Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019; Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017; Reisert, Anwaltsgebühren im Straf- und Bußgeldrecht, 2. Aufl. 2013, § 2 Rn 1 ff.
a) Typischer Sachverhalt
Rz. 36
Herr A wurde wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen festgenommen. Die Betäubungsmittel waren in einem im Eigentum des Herrn A stehenden Pkw eingebaut. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO wurde angeordnet. Der Pkw wurde sichergestellt. Gleichzeitig wurde Bargeld, das der Beschuldigte bei sich zu Hause aufbewahrt hatte, beschlagnahmt. Eine mündliche Haftprüfung sowie eine anschließende Haftbeschwerde verliefen ergebnislos; ebenso die Beschwerden gegen die Beschlagnahme des Pkw, des Bargelds sowie die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis. Es wurde Anklage zum Schöffengericht erhoben. Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens wurden vorgebracht, blieben jedoch unberücksichtigt. Die eintägige Hauptverhandlung dauerte neun Stunden. Es wurden zehn Zeugen und ein Sachverständiger gehört. Der Angeklagte wurde wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Haftbefehl wurde aufgehoben. Wegen Aufklärungshilfe wurde ein minder schwerer Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG angenommen. Die Verteidigung konnte mit den Anträgen durchdringen, von einer Einziehung des Pkw aus Verhältnismäßigkeitsgründen abzusehen. Das beschlagnahmte Geld wurde freigegeben. Auch die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde wegen des Nachtatverhaltens nicht ausgesprochen. Herr A legte gegen das Urteil Berufung ein. Drei Wochen vor dem geplanten Berufungshauptverhandlungstermin entschloss sich Herr A die Berufung zurückzunehmen, nachdem ihm dies vom Verteidiger geraten worden war. Dieser hatte zuvor mit der Berufungskammer Kontakt aufgenommen und ausführlich die Sach- und Rechtslage erörtert.
Rechtsanwalt R möchte nunmehr die Abrechnung gegen den Mandanten auf der Basis der gesetzlichen Vergütung vornehmen.
b) Rechtliche Grundlagen
Rz. 37
Die Gebühren des gewählten Verteidigers richten sich nach Nr. 4100 ff. RVG-VV. Es handelt sich um Rahmengebühren, bei denen der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen bestimmt, § 14 RVG.
Rz. 38
Grundsätzlich wird mit der Entgegennahme des Mandats und anschließender Einarbeitung in den Rechtsfall die Grundgebühr aus Nr. 4100 f. RVG-VV verdient. Da sich der Mandant in Haft befindet, ist die Nr. 4101 RVG-VV (mit Zuschlag) einschlägig. Der Gebührenrahmen reicht von 44 EUR bis 495 EUR. Für die Verhandlung über die Fortdauer der Untersuchungshaft wird der Gebührentatbestand der Nr. 4103 RVG-VV ausgelöst. Der Rahmen der Terminsgebühr bewegt sich zwischen 44 EUR und 413 EUR.
Rz. 39
Eine zusätzliche Verfahrensgebühr wird durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts fällig, die sich auf die Einziehung oder gleichstehende Rechtsfolgen, die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht. Hier ist Nr. 4142 RVG-VV einschlägig. Die Besonderheit ist hier, dass es sich nicht um eine Rahmen-, sondern eine Wertgebühr handelt.
Rz. 40
Für die Tätigkeit im Vorverfahren gibt die Nr. 4105 RVG-VV einen Gebührenrahmen von 44 EUR bis 399 EUR als Verfahrensgebühr vor.
Rz. 41
Der Gebührenrahmen der Verfahrensgebühr im gerichtlichen Verfahren des 1. Rechtszugs beträgt gem. Nr. 4107 RVG-VV 44 EUR bis 399 EUR. Je Hauptverhandlungstag wird zusätzlich noch jeweils eine Terminsgebühr verdient. Der Gebührenrahmen richtet sich vorliegend nach Nr. 4109 RVG-VV und bewegt sich zwischen 77 EUR und 660 EUR.
Rz. 42
Für das Berufungsverfahren gilt, dass der Rechtsanwalt grundsätzlich die Verfahrensgebühr nach Nr. 4124 RVG-VV (ohne Zuschlag, da sich der Mandant auf freiem Fuß befindet) mit einem Gebührenrahmen von 88 EUR bis 616 EUR abrechnen kann. Zusätzlich würde für jeden Hauptverhandlungstag im Berufungsverfahren gem. Nr. 4126 RVG-VV eine Terminsgebühr von 88 EUR bis 616 EUR fällig. Da vorliegend jedoch die Berufung mehr als zwei Wochen vor dem anberaumten Termin auf Anraten des Rechtsanwalts zurückgenommen wurde, gilt ein Sonderfall: Hier wird nach Nr. 4141 RVG-VV eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr verdient. Diese tritt an die Stelle der durch die Berufungszurücknahme in Wegfall geratenen Terminsgebühr. Diese "Erfolgsgebühr" soll die Strafrechtspflege entlasten und gleichzeitig den Rechtsanwalt, der zu dieser Verfahrensweise beigetragen hat, nicht schlechter stellen als bei Durchführung des Hauptverhandlung...