Rz. 324
Die Aussetzung der Hauptverhandlung und ihre Beantragung durch den Verteidiger ist ein zweischneidiges Schwert. Der Verteidiger sollte nicht nur die Vorteile sehen, die eine Aussetzung mit sich bringen kann, sondern ebenso die Nachteile.
Die Aussetzung der Hauptverhandlung wird in verschiedenen Vorschriften behandelt, etwa §§ 138c Abs. 4, 145 Abs. 3, 217 Abs. 2, 265 Abs. 3, 4 StPO. Es ist jedoch anerkannt, dass wegen der besonderen Lage des Prozesses und der Fürsorgepflicht bzw. der Sachaufklärungspflicht des Gerichts eine Aussetzung auch aus anderen Gründen zulässig sein kann.
Rz. 325
Die Aussetzung ist strikt von der Unterbrechung der Hauptverhandlung zu trennen. Eine Aussetzung des Verfahrens liegt vor, wenn die Verhandlung über den nach § 229 Abs. 1–3 StPO genannten Zeitraum hinaus nicht stattfindet. Eine Unterbrechung dagegen ist gegeben, wenn der zeitliche Rahmen des § 229 Abs. 1–3 StPO nicht überschritten wird. Dementsprechend kann die Hauptverhandlung grundsätzlich bis zu drei Wochen unterbrochen werden, nach zehn Verhandlungstagen auch bis zu einem Monat. Dies ist wichtig, denn nur die Aussetzung hat die Folge, dass die bisherige Verhandlung nicht fortgesetzt wird, sondern eine neue, selbstständige Verhandlung begonnen werden muss. Eine besondere Regelung enthält § 229 Abs. 3 StPO, wonach bei krankheitsbedingtem Fehlen eines Richters oder des Angeklagten der Fristenlauf für die Zeit der Krankheit bzw. bei zur Urteilsfindung berufenen Personen auch wegen des gesetzlichen Mutterschutzes oder bei Inanspruchnahme von Elternzeit, längstens jedoch für zwei Monate, gehemmt wird, sofern zuvor mindestens zehn Hauptverhandlungstage stattgefunden haben.
a) Aussetzung wegen verspäteter oder unvollständiger Akteneinsicht
aa) Rechtliche Grundlagen
Rz. 326
Die Aussetzung des Verfahrens zum Zwecke der Akteneinsicht ist im Gesetz nicht geregelt. Gleichwohl ist anerkannt, dass in bestimmten Fällen eine Aussetzung wegen verspäteter bzw. unvollständiger Akteneinsicht in Betracht kommen kann. Dabei geht es um einen angemessenen Zeitraum, der zwischen Übersendung der Akten und der Hauptverhandlung liegt und eine effektive Vorbereitung des Verfahrens ermöglichen soll. Ist offensichtlich, dass die Verteidigung das Aktenmaterial in der möglichen Zeit nicht lesen, sichten oder aufarbeiten kann, muss sie einen Aussetzungsantrag stellen. Dies gilt erst recht, wenn ihr Akten erst in oder kurz vor der Hauptverhandlung zugänglich gemacht werden.
bb) Muster: Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung wegen verspäteter Akteneinsicht
Rz. 327
Muster 41.45: Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung wegen verspäteter Akteneinsicht
Muster 41.45: Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung wegen verspäteter Akteneinsicht
An das Amtsgericht _____
Az. _____
In der Strafsache gegen _____ wegen _____
beantrage ich namens meines Mandanten wegen verspäteter Akteneinsicht die Aussetzung der Hauptverhandlung.
Begründung:
Durch Schreiben vom _____ hat sich der Unterzeichner gegenüber der Staatsanwaltschaft durch Vorlage einer entsprechenden Vollmacht als Verteidiger des Angeklagten legitimiert und Akteneinsicht beantragt. Am _____ wurde ihm seitens der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht gewährt. _____ (Darstellen des Sachverhalts).
Die bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung verbleibende Zeit reicht nicht aus, das Material zu sichten und es mit meinem Mandanten durchzusprechen. Auf die neue Aktenlage kann der Angeklagte deshalb nicht angemessen reagieren. Dem Aussetzungsantrag ist daher stattzugeben.
(Rechtsanwalt)
b) Aussetzung wegen Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers (§ 145 Abs. 3 StPO)
aa) Rechtliche Grundlagen
Rz. 328
Die Vorschrift soll gewährleisten, dass dem Angeklagten in den vom Gesetz dafür vorgesehenen Fällen ein angemessen vorbereiteter Verteidiger zur Seite steht. Wurde dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger beigeordnet und hat dieser den Hauptverhandlungstermin aus den in § 145 Abs. 1 StPO genannten Gründen nicht wahrgenommen, hat das Gericht dem Angeklagten sogleich einen neuen Pflichtverteidiger beizuordnen. Erklärt nun dieser neu bestellte Pflichtverteidiger, ihm verbleibe nicht die zur Vorbereitung der Verteidigung erforderliche Zeit, dann hat das Gericht das Verfahren auszusetzen oder zu unterbrechen, § 145 Abs. 3 StPO. Das Aussetzungsbegehren muss der neu bestellte Pflichtverteidiger aber sofort bei der Übernahme der Verteidigung erklären. Hat er sie erst einmal übernommen, kann er sich nicht mehr auf § 145 Abs. 3 StPO berufen.
Seinem Wortlaut nach regelt der § 145 Abs. 3 StPO nur den Fall des neu hinzutretenden Pflichtverteidigers, doch ist anerkannt, dass § 145 Abs. 3 StPO für den neu eintretenden Wahlverteidiger entsprechend gilt, so...