Rz. 256
Die Anklageschrift ist für die Verteidigung von besonderer Bedeutung, nicht immer durch das, was sie dem Angeschuldigten vorwirft, sondern oftmals durch das, was sie verschweigt. Sie teilt dem Verteidiger mit, wie die Staatsanwaltschaft den Fall tatsächlich und rechtlich beurteilt, und offenbart damit teilweise deren Anklagestrategie. Insofern kommt ihr eine ausgesprochene Informationsfunktion zu. Durch den Anklagegrundsatz bindet sich die Staatsanwaltschaft selbst: Was nicht ordnungsgemäß angeklagt wurde, kann später nicht ohne Weiteres in das Verfahren eingebracht werden, vgl. § 266 Abs. 1 StPO. Die Anklageschrift bestimmt die Grund- und Ausgangslage des gesamten Verfahrens und besitzt damit eine Umgrenzungsfunktion.
Rz. 257
Daher sollte der Verteidiger die Anklageschrift einer sorgfältigen Prüfung unterziehen und ihr so viele (verdeckte) Informationen wie nur möglich entnehmen. Das Ziel der Verteidigung kann im Zwischenverfahren entweder darin bestehen, es nicht zur Eröffnung des Hauptverfahrens kommen zu lassen, oder darin, dass das Verfahren mit einer Anklage eröffnet wird, die den Vorwurf gegenüber dem Mandanten einschränkend (und präzise) formuliert. Obwohl das Vorliegen einer wirksamen Anklageschrift eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung ist, sollte der Verteidiger Ungenauigkeiten und Unklarheiten, die für den Mandanten unter Umständen ungünstig sein könnten, bei Gericht rügen. Kommt das Gericht dem nicht nach, hat der Verteidiger die Möglichkeit, im Rahmen der Hauptverhandlung der Verlesung der Anklage zu widersprechen und einen entsprechenden Antrag zu stellen.
a) Mangelhafte Anklageschrift bei einer Vielzahl von Einzelakten
Rz. 258
Die Anklageschrift hat ausweislich des § 200 Abs. 1 S. 1 StPO insbesondere die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat sowie den Ort und die Zeit ihrer Begehung anzugeben. Dies verlangt, dass die Identität des geschichtlichen Vorganges klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen Taten desselben Täters abgrenzen lassen. Dies bedeutet nach Ansicht der Rechtsprechung aber nicht, dass bei bereits Jahre zurückliegenden Taten, bei denen es etwa aufgrund der ungenügenden Erinnerungsfähigkeit eines Zeugen an einer Individualisierbarkeit der einzelnen Handlungen und Tatzeiten mangelt, eine Anklage unmöglich ist. Soweit wegen einer Vielzahl an Einzelakten im Rahmen einer Bewertungseinheit angeklagt wird, bedarf es zwar nicht der Mitteilung der Anzahl der Einzelakte, wohl aber der genauen Umstände, wie etwa der Mitteilung über die Person des Opfers, der Grundzüge der Art und Weise der Tatbegehung und vor allem der Bestimmung des Tatzeitraums. Im Gegensatz dazu ist bei Tatmehrheit zu verlangen, dass die Anklageschrift die Zahl der vorgeworfenen Taten mitteilt, denn nur so wird erkennbar, ob sich das Urteil in dem von der Anklage umschriebenen Rahmen hält.
b) Mangelhafte Anklageschrift wegen Nichtbeachtung des § 200 Abs. 2 S. 1 StPO
aa) Rechtliche Grundlagen
Rz. 259
Nach § 200 Abs. 2 S. 1 StPO ist auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen in der Anklageschrift mitzuteilen. Davon kann im Fall der Anklage vor dem Strafrichter nach dem pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft abgesehen werden, § 200 Abs. 2 S. 2 StPO. Wegen der Informationsfunktion der Anklageschrift ist das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen in Bezug auf den aktuellen Sachstand und die Beweislage für die Verteidigung von großer Wichtigkeit.
Bei möglichen Mängeln der Anklageschrift ist zwischen der Informationsfunktion sowie der Umgrenzungsfunktion zu unterscheiden. Liegt ein Mangel in der Umgrenzungsfunktion, fehlt es etwa an der genügenden Identifizierung des Angeklagten oder Umschreibung der Tat und ist dies auch nicht aus dem wesentlichen Ermittlungsergebnis auszulegen, ist die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen, sofern keine Nachbesserung seitens der Staatsanwaltschaft erfolgt. Ein Mangel, der lediglich die Informationsfunktion der Anklage betrifft, etwa die anzuwendenden Strafvorschriften, macht hingegen die Anklage nicht unwirksam.
bb) Muster: Antrag auf Nichteröffnung der Hauptverhandlung wegen mangelhafter Anklageschrift
Rz. 260
Muster 41.37: Antrag auf Nichteröffnung der Hauptverhandlung wegen mangelhafter Anklageschrift
Muster 41.37: Antrag auf Nichteröffnung der Hauptverhandlung wegen mangelhafter Anklageschrift
An das Amtsgericht _____
Az. _____
In der Strafsache gegen _____ wegen _____
wird beantragt, die Eröffnung der Hauptverhandlung abzulehnen.
Begründung:
Gemäß § 200 Abs. 1 StPO hat die Anklageschrift den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen. Dabei muss die Anklageschrift so formuliert sein, dass sie den Angeklagten unzweifelhaft identifiziert. Die Person des Angeklagten darf nicht fraglich sein.
Diesen zwingenden Anforderungen wird die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft _____ vom _____ nicht gerecht. Aus der von der Staatsanwalts...