Rz. 272
Die Überprüfung der Besetzung des Gerichts durch den Verteidiger ist zumindest aus zwei Gründen unentbehrlich: Zum einen garantiert sie das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und zum anderen sichert sie ihm die Möglichkeit der Revision mit dem absoluten Revisionsgrund der Besetzungsrüge, § 338 Nr. 1 StPO. Die Besetzungsrüge ist jedoch unzulässig, wenn der Besetzungseinwand nicht erhoben wurde, obwohl der Besetzungsfehler objektiv erkennbar war. Man spricht insoweit von der sog. Rügepräklusion gem. § 222b StPO.
Rz. 273
Die Frage aber, ob eine fehlerhafte Besetzung auch tatsächlich geltend gemacht werden soll, lässt sich nur für den jeweils konkreten Fall entscheiden. Es ist aber daran zu denken, dass man unter Umständen mit der fehlbesetzten Kammer "besser fährt" als mit der an sich korrekten Kammerbesetzung.
a) Antrag auf Unterbrechung
Rz. 274
Nach § 222a Abs. 1 StPO ist der Verteidigung spätestens bis zur Hauptverhandlung die Besetzung des Gerichts – einschließlich der Frage des Vorsitzes und der Ergänzungsrichter bzw. Ergänzungsschöffen – mitzuteilen, sofern es sich um ein erstinstanzliches Verfahren vor dem Land- bzw. Oberlandesgericht handelt. Dieser Mitteilungspflicht entspricht das Recht der Verteidigung, die Aussetzung der Hauptverhandlung zum Zwecke der Prüfung der Besetzung zu verlangen, wenn die Mitteilung der Besetzung später als eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung zugegangen ist, § 222a Abs. 2 StPO.
Der Unterbrechungsantrag ist präkludiert, wenn er nicht spätestens bis zur Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache gestellt wird. Der Antrag wird häufig abgelehnt, wodurch die Rüge für die Revision erhalten bleibt. In jedem Fall sollte der Unterbrechungsantrag hinsichtlich der Dauer so beschaffen sein, dass dem Verteidiger die gesetzlich verbürgte Überprüfungszeit von einer Woche zur Verfügung steht.
b) Gegenstand und Mittel der Überprüfung der Besetzung
Rz. 275
Die wesentlichsten Prüfungspunkte hinsichtlich der Besetzung sind:
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die richtige Besetzung des Vorsitzenden Richters; |
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die richtige Besetzung der Beisitzer; |
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die richtige Besetzung bei Vertretung der Berufsrichter; |
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die richtige Besetzung bei möglicher Überbesetzung der Kammer mit Berufsrichtern; |
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die richtige Besetzung in Bezug auf Assessoren, Richter auf Probe und abgeordneten Richtern; |
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die richtige Besetzung der Schöffen. |
Rz. 276
Bei der Überprüfung der Besetzung des Gerichts muss der Verteidiger selbst tätig werden und eine Materialsammlung beginnen. Für die Überprüfung der Berufsrichter bedarf es des aktuellen Geschäftsverteilungsplanes des Gerichts sowie sämtlicher Präsidialbeschlüsse zu Änderungen der Besetzung der Spruchkörper nach § 21e GVG. Auf die Einsicht dieser Unterlagen besteht ein Rechtsanspruch. Aus diesen Unterlagen muss sich letztlich die Besetzung der Kammer im konkreten Fall ergeben. Dabei ist daran zu denken, dass eine fehlerhafte Besetzung bereits dann vorliegt, wenn beispielsweise die Verhinderung eines Richters aufgrund Überlastung durch keinen entsprechenden Beschluss des Gerichtspräsidenten gedeckt ist.
Zur Überprüfung der Schöffenbesetzung benötigt der Verteidiger die Vorschlagsliste der Gemeinde, § 36 GVG, die Unterlagen zur Bildung des Schöffenwahlausschusses, § 40 GVG, diejenigen zur Wahl der Schöffen, § 42 GVG sowie das Protokoll der Schöffenauslosung nach § 45 GVG. Auch insoweit besitzt der Verteidiger ein Einsichtsrecht. Für die Überprüfung der Materialien sei angemerkt, dass nicht jede Ungenauigkeit oder Nichtbeachtung der Vorschriften zu einer unzulässigen Schöffenbesetzung führt.
c) Besetzungsrüge
Rz. 277
Die Anforderungen an die Besetzungsrüge sind in § 222b StPO geregelt. Es sind dabei Besonderheiten hinsichtlich der Form, der Frist, aber auch des Inhalts zu beachten. Die Besetzungsrüge ist spätestens bis zur Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache zu erheben. Alle Beanstandungen sind gleichzeitig vorzubringen. Die Rüge ist außerhalb der Hauptverhandlung zwingend schriftlich vorzubringen, innerhalb der Hauptverhandlung kann sie mündlich vorgetragen werden, wobei sie als wesentliche Förmlichkeit nach § 273 StPO zu protokollieren ist. Besondere Sorgfalt ist bei der Abfassung der Rüge anzuwenden. Zwar bedarf es keiner rechtlichen Begründung, doch sind die die Fehlbesetzung begründenden Tatsachen in revisionsartiger Form vorzubringen. Sie muss also aus sich selbst heraus verständlich sein, ohne dass ein Bezug zu anderen Verhandl...