a) Der Status des Sachverständigen
Rz. 278
Unabhängig davon, ob man den Sachverständigen als "Berater des Richters" oder als "Gehilfen des Richters" bezeichnen mag oder nicht, ist er jedenfalls kein Zeuge, sondern der auf seinem Wissensgebiet sachkundige Helfer des erkennenden Gerichts, der dem Gericht bezüglich einer zu beweisenden Einzeltatsache seine Sachkunde zur Verfügung stellt. Der Sachverständige unterscheidet sich vom Zeugen dadurch, dass er grundsätzlich auswechselbar ist, es für das Gutachtenergebnis also (theoretisch) unbeachtlich ist, welcher Sachverständige ein Gutachten erstattet. Die Zeugenaussage dagegen ist individuell und nicht durch diejenige eines anderen Zeugen zu ersetzen. Als Sachverständiger kann im Verfahren nur derjenige auftreten, der formell vom Gericht mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt wurde. Diese Eigenschaft unterscheidet ihn auch vom sachverständigen Zeugen nach § 85 StPO, der seine Aussage nur aufgrund seiner besonderen Sachkunde machen kann, dabei aber nicht vom Gericht beauftragt wurde. Für Letzteren gelten die Vorschriften über den Zeugenbeweis, § 85 StPO.
b) Eingriffsmöglichkeiten des Verteidigers
Rz. 279
Die Probleme, die der Verteidiger mit einem Sachverständigen regelmäßig auszufechten hat, sind weniger rechtlicher, als vielmehr tatsächlicher bzw. atmosphärischer Natur. Dies, weil die Auswahl des Sachverständigen allein durch den Richter erfolgt und der Verteidiger kein Mitspracherecht besitzt, § 73 Abs. 1 S. 1 StPO. Der Verteidiger sollte dennoch darauf drängen, Auswahlvorschläge zur Person des zu beauftragenden Sachverständigen machen zu können. Im Vorverfahren ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, dem Verteidiger vor Auswahl eines Sachverständigen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, Nr. 70 Abs. 1 RiStBV. Gerade für junge Anwälte empfiehlt es sich daher besonders, sich bei erfahrenen Kollegen über mögliche Sachverständige und deren Eigenheiten/Besonderheiten/Arbeitsweisen etc. zu informieren, um im Bedarfsfall effektiv von der Möglichkeit einer Stellungnahme Gebrauch machen zu können. Nach der Bestellung eines Sachverständigen muss der Verteidiger darauf achten, welche Aktenteile dem Sachverständigen für dessen Gutachtenerstellung zur Verfügung gestellt werden. Dies ist vor allem deshalb von besonderer Bedeutung, damit sichergestellt ist, dass dem Gutachter alle für seine Gutachtenerstattung relevanten Unterlagen – aber auch nur diese – zur Verfügung stehen, und damit gleichzeitig auch unnötiger Kostenaufwand von vornherein vermieden wird, etwa durch einen höheren Zeitaufwand bei der Durchsicht bzw. Bearbeitung der Akte.
Hat der bestellte Sachverständige sein Gutachten erstattet, stehen dem Verteidiger oftmals kaum noch Möglichkeiten offen, den Angeklagten belastende Gutachtenergebnisse aus der Welt zu schaffen. Deshalb ist der Antrag nach § 244 Abs. 4 StPO, der die Beauftragung eines weiteren Gutachters vorsieht, in der Praxis ein "stumpfes Schwert". Der Verteidiger muss daher selbst das Gutachten und den Gutachter durchleuchten, um Schwachstellen deutlich offenlegen zu können. Der Sachverständige hat bestimmte Pflichten. So hat er den zu Explorierenden über sein Untersuchungsverweigerungsrecht zu belehren. Unterlässt er dies, kann das zur Unverwertbarkeit seines Gutachtens führen. Deswegen ist eine gute Vorbereitung unbedingt erforderlich. Sie verlangt, dass ein bereits vorliegendes schriftliches Gutachten anhand der einschlägigen Literatur und ggf. mit Hilfe weiterer sachkundiger Personen durchgearbeitet wird. Eventuell besteht auch die Möglichkeit, sich über den Werdegang des Gutachters bzw. seine Spezialkenntnisse zu informieren. Der Verteidiger sollte versuchen, bei einem den Angeklagten belastenden Gutachten alternative Interpretationsmöglichkeiten zu finden, also den Gutachter im Ergebnis zu einer Stellungnahme dahingehend zu bewegen, dass eine andere Interpretation der gefundenen Daten zumindest denkbar wäre.
Rz. 280
Spätestens in der mündlichen Gutachtenerstattung vor Gericht hat der Verteidiger darüber zu wachen, dass der Sachverständige tatsächlich nur gutachterlich tätig wird. So ist darauf zu achten, dass der Sachverständige sein Gutachten auf der Basis der Tatsachen erstellt hat, die ihm das Gericht vorgegeben hat (Anknüpfungstatsachen), und er nur solche Tatsachen in die Hauptverhandlung einführt, die er im Rahmen der Ausführung des Gutachtens aufgrund seiner besonderen Sachkunde festgestellt hat (Befundtatsachen). Andere als diese Tatsachen sind als so genannte Zusatztatsachen zu qualifizieren und nur im Wege der sonstigen Beweiserhebung in den Prozess einführbar. Das kann dadurch geschehen, dass der Sachverständige zugleich als Zeuge vernommen wird. Dann ist aber darauf zu achten, dass er tatsächlich nur Zeugenaussagen tätigt, ohne in die Rolle des Gutachters zu wechseln. Der Verteidiger muss der unzulässigen Einführung von Zusatzta...