a) Typischer Sachverhalt
Rz. 290
Der Angeklagte A bestreitet die ihm zur Last gelegte Tat vor Gericht. In einer Verhandlungspause hört er, wie der Vorsitzende Richter V bei einem Kaffee den Schöffen in der Cafeteria erklärt, dass die weitere Verhandlung an sich überflüssig sei, weil der Angeklagte A ja sicher der Täter sei, und dass er lüge wie gedruckt.
b) Rechtliche Grundlagen
Rz. 291
Das Recht des Angeklagten auf seinen gesetzlichen Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und das Gebot des fairen Verfahrens wären nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte mit einem Richter (oder einer anderen Gerichtsperson, vgl. § 31 StPO) konfrontiert würde, der Anlass zu Zweifeln an seiner Unparteilichkeit gibt. Ausschließung und Ablehnung unterscheiden sich dadurch, dass die Ausschließung kraft Gesetzes gilt, es also keiner Einzelentscheidung des Gerichts bedarf, während die Ablehnung beantragt und vom Gericht beschlossen werden muss. Ausweislich des § 24 Abs. 3 StPO steht das Ablehnungsrecht dem Beschuldigten, nicht aber dem Verteidiger zu. Dies ist zu beachten, wenn man sich die typischen Spannungsverhältnisse zwischen den Verfahrensbeteiligten vergegenwärtigt. So kann nämlich das zur Ablehnung führende Konfliktverhältnis nicht nur zwischen dem Angeklagten und dem Gericht, sondern auch zwischen dem Verteidiger und dem Gericht bestehen. Jedoch begründen Spannungen zwischen dem Gericht und dem Verteidiger für sich genommen in der Regel noch keine Besorgnis der Befangenheit.
c) Ausschließung
Rz. 292
Die Ausschließungsgründe sind in § 22 Nr. 1–5 StPO abschließend genannt. Liegt ein solcher Ausschlussgrund tatsächlich vor und wirkt der Richter dennoch im Verfahren mit, liegt ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 2 StPO vor. Besondere Bedeutung erlangen die Ausschlussgründe des § 22 StPO meist bei den Schöffen, da sie vor der Eröffnung der Hauptverhandlung regelmäßig keinen Einblick in die Akten haben und erst beim Termin feststellen, welchem Angeklagten in welcher Angelegenheit der Prozess gemacht wird. Auch wenn es für den Ausschluss keines Antrages bedarf, bleibt es dem Verteidiger unbenommen anzuregen, dass das Gericht den Ausschluss des Betroffenen im Wege eines (deklaratorischen) Beschlusses feststellen möge.
d) Begriff der Befangenheit
Rz. 293
Die Ablehnung einer Gerichtsperson kommt in Betracht, wenn die Besorgnis der Befangenheit besteht, § 24 Abs. 1 StPO. Nach der Legaldefinition des § 24 Abs. 2 StPO ist diese Besorgnis dann gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der betroffenen Person – meist des Richters – zu rechtfertigen. Dabei ist Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhaltes Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflusst.
Dies bedeutet zweierlei: Erstens, dass es auf die objektive Lage nicht ankommt, der Richter also nicht tatsächlich befangen sein muss. Nicht nur die Parteilichkeit als solche, sondern bereits ihr Anschein soll vermieden werden. Zweitens ergibt die Legaldefinition, dass auf die Empfängerperspektive, also auf die Sicht des Angeklagten, abzustellen ist. Nach der Rechtsprechung ist dabei aber auf die Sicht eines durchschnittlichen, vernünftigen Angeklagten abzustellen, der bei verständiger Würdigung der Umstände den Verdacht hegen können müsse, es bestehe eine Voreingenommenheit des Richters.
e) Ablehnungsverfahren
aa) Rechtliche Grundlagen
Rz. 294
Das Institut der Ablehnung sollte nur gezielt eingesetzt werden. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der großen Erfolglosigkeit der Ablehnungsanträge. Dabei sollten auch die Nachteile sowohl der erfolglosen als auch der erfolgreichen Ablehnung im Auge behalten werden: Scheitert der Ablehnungsantrag, verbleibt es beim abgelehnten Richter. Ob er weiterhin dieselbe Offenheit besitzt wie zuvor, mag zumindest in Frage gestellt werden können. Aber auch die erfolgreiche Ablehnung führt nicht per se zu einem "besseren" Nachfolger. In keinem Fall sollte der Verteidiger die Ablehnungsfrage ohne Besprechung mit dem Mandanten entscheiden.
Rz. 295
Der Ablehnungsantrag ist mündlich oder schriftlich beim erkennenden Gericht zu stellen, § 26 Abs. 1 StPO. Ggf. ist die Unterbrechung der Hauptverhandlung zu beantragen, damit ein geeigneter Ablehnungsantrag ausformuliert werden kann. Nach § 25 Abs. 1 StPO ist das Ablehnungsgesuch, das sich auf Vorgänge zeitlich vor der Hauptverhandlung bezieht, spätestens bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Person vorzubringen, ansonsten ist es präkludiert. Zu einem späteren Termin kann die Ablehnung nur wirksam beantragt werden, wenn sie auf später eingetretenen bzw. später bekannt gewordenen Umständen beruht und unverzüglich geltend gemacht wird, § 25 Abs. 2 StPO. In jedem Fall ist das Ablehnungsgesuch geltend zu mac...