a) Sitzungspolizeiliche Anordnungen
Rz. 300
Im Bereich der Sitzungspolizei besitzt der Verteidiger kaum Einwirkungs- bzw. Verteidigungsmöglichkeiten. Dies mag an der gesetzgeberischen Vorstellung liegen, dass sitzungspolizeiliche Maßnahmen den Ausgang des Verfahrens inhaltlich nicht berühren.
Nach § 176 GVG obliegt die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden. Versteht man unter Ordnung der Sitzung einen Zustand, der dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten eine störungsfreie Ausübung ihrer Funktionen erlaubt, die Aufmerksamkeit der übrigen Anwesenden in der öffentlichen Verhandlung nicht beeinträchtigt und allgemein deren gebührlichen Ablauf sichert, dann ist zu erahnen, welche Anwendungsfülle die Sitzungspolizei in Gestalt des Vorsitzenden im Fall eines Falles bekommen kann.
Rz. 301
Nach h.M. kann eine einfache sitzungspolizeiliche Anordnung weder durch Nachprüfung i.S.v. § 238 Abs. 2 StPO noch im Wege des Beschwerdeverfahrens überprüft werden. Das Rechtsmittel der Revision kann nur dann helfen, wenn gleichzeitig durch die Maßnahme die Verteidigung des Angeklagten unzulässig beschränkt oder der Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt wurde. Dieselben Grundsätze gelten bei der Entfernung aus dem Gerichtssaal bzw. der Anordnung von Ordnungshaft nach § 177 S. 1 GVG, wobei hier insoweit zwei Besonderheiten gelten: Zum einen kann sich die angeordnete Ungehorsamsfolge nur an den Angeklagten, nicht aber an den Verteidiger richten, weil dieser in der abschließenden Aufzählung des § 177 GVG nicht genannt wird. Zum anderen ist für eine Anordnung gegenüber dem Angeklagten als einer bei der Verhandlung beteiligten Person das Gericht als solches und nicht allein der Vorsitzende zuständig, § 177 S. 2 GVG.
Auch die im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden bzw. des Gerichts stehende Festsetzung eines Ordnungsmittels wegen Ungebühr gem. § 178 Abs. 1 GVG ist gegen den Verteidiger unzulässig. Hier kann also erneut nur der Angeklagte betroffen sein – wenn er sich schuldhaft ungebührlich verhalten hat. Gegen die ein Ordnungsmittel bestimmende Entscheidung ist nach § 181 Abs. 1 GVG die sofortige Beschwerde binnen Wochenfrist beim OLG als Beschwerdegericht einzulegen. Sie besitzt im Fall von § 178 GVG im Gegensatz zu § 180 GVG keine aufschiebende Wirkung, § 181 Abs. 2 GVG.
b) Sachleitungsentscheidung und ihre Beschwerdemöglichkeit
aa) Rechtliche Grundlagen
Rz. 302
Nach § 238 Abs. 1 StPO kommt dem Vorsitzenden die Leitung der Verhandlung zu, es sei denn, das Gesetz hat bestimmte, wichtige Entscheidungen dem Gericht als Ganzes übertragen. Hält nun der Verteidiger eine getroffene Maßnahme für unzulässig, kann er eine Entscheidung des Gerichts verlangen, § 238 Abs. 2 StPO. Dies bedeutet in der Praxis, dass sich das Gericht zur Beratung zurückziehen muss; tut es das nicht, sondern fällt es seine Entscheidung unverzüglich "durch den Vorsitzenden", sollte der Verteidiger ruhig einen entsprechenden Hinweis geben.
Im Zweifel kann jede Anordnung des Vorsitzenden angegriffen werden, bei der es nicht offensichtlich an einer Beschwer für den Angeklagten fehlt. Allerdings sollte der Verteidiger bedenken, dass der Grund für die Überprüfung der Zweifel an der Zulässigkeit der Maßnahme sein muss, so dass der Verteidiger nicht auch bloß unzweckmäßige oder ungeschickte Entscheidungen mit § 238 Abs. 2 StPO bekämpfen kann. § 238 Abs. 2 StPO findet auch auf den Amtsrichter Anwendung, obwohl hier Vorsitzender und Gericht personenidentisch sind. Der Amtsrichter muss dann eben erneut, nun aber im Beschlusswege, entscheiden.
Rz. 303
Führt die Gerichtsentscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO nicht zur Aufhebung der Entscheidung, ist die Rechtsbehelfsmöglichkeit vorerst erschöpft, denn eine Beschwerde ist ausgeschlossen. Dies gilt aber nicht, wenn die Entscheidung eine zusätzliche Beschwer enthält oder dritte Personen betrifft, weil dann die Ausnahme nach § 305 S. 2 StPO eingreift. Die Revision, sowohl über § 338 Nr. 8 StPO als auch über § 337 StPO, setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass ein Gerichtsbeschluss nach § 238 Abs. 2 StPO ergangen ist. Eine unzulässige Sachleitungsmaßnahme, die nicht geprüft worden ist, kann demnach prinzipiell nicht mit der Revision angegriffen werden. Die Verteidigung sollte daher im Zweifel immer einen Beschluss nach § 238 Abs. 2 StPO herbeiführen, um für die Revision gewappnet zu sein.