Rz. 320
Das rechtliche Gehör wäre nicht umfassend gewährleistet, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger im Rahmen der Hauptverhandlung keine Fragen an Zeugen und Sachverständige richten könnten. Daher sieht die Verfahrensordnung ein solches Fragerecht ausdrücklich vor, § 240 Abs. 2 StPO. Entscheidend ist, dass der Verteidiger zum passenden Zeitpunkt die richtigen Fragen in geeigneter Weise stellt. Das verlangt Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, sich in die Lage des Zeugen zu versetzen. Der Verteidiger muss seine Frage nicht begründen bzw. sie nicht rechtfertigen. Auch sollte er sich weder durch das Gericht noch durch sonstige Dritte unterbrechen lassen. Dies ist nicht nur eine Frage des Respekts, sondern auch der Wirksamkeit der Befragung, denn eine Frage, deren Existenzberechtigung der Vorsitzende in Zweifel zieht, wird vom Zeugen nicht mehr (so) ernst genommen.
Rz. 321
Das Fragerecht ist aber nicht grenzenlos. Die Beantwortung einer Frage kann aus drei Gründen vom Vorsitzenden bzw. dem Gericht abgelehnt werden. Eine einzelne Frage ist zurückzuweisen, wenn sie ungeeignet ist, § 241 Abs. 2 Alt. 1 StPO. Dies ist der Fall, wenn sie aus tatsächlichen Gründen nicht zur Wahrheitsfindung beitragen kann oder aus rechtlichen Gründen nicht gestellt werden darf. Aus tatsächlichen Gründen unzulässig sind insbesondere Fang- oder Suggestivfragen, Fragen, die bereits von anderen Verfahrensbeteiligten gestellt wurden, Fragen, die von der Auskunftsperson schon erschöpfend beantwortet wurden oder Fragen, die reine Werturteile betreffen. Rechtlich unzulässig sind dagegen Fragen, denen beispielsweise ein Beweiserhebungsverbot entgegensteht oder die eine strafbare Beleidigung enthalten. Die zweite Kategorie der unzulässigen Fragen betrifft die sachfremden Fragen, also solche Nachfragen, die sich weder direkt noch indirekt auf verfahrenserhebliche Umstände beziehen. Sachfremdheit verlangt dabei mehr als nur bloße Bedeutungslosigkeit i.S.d. § 244 Abs. 2 S. 1 StPO oder Unerheblichkeit der Tatsache, nach der gefragt wird.
Rz. 322
Die weitestgehende Einschränkung sieht § 241 Abs. 1 StPO vor, der den Entzug des Fragerechts als solches bestimmt. Der Entzug des gesamten Fragerechts – oder das Unterbinden weiterer Fragen zumindest für einen bestimmten Abschnitt der Beweisaufnahme nach § 241 Abs. 2 StPO – stellt die gerichtliche Antwort auf den Missbrauch des Fragerechts dar. Ein Entzug kommt aber erst dann in Betracht, wenn angesichts der bisher gestellten Fragen kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass alle weiteren Fragen unzulässig sein werden. Damit darf der Entzug des Fragerechts nur als äußerste Notbremse dienen. Über Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit einer Frage entscheidet – eventuell nach Anrufung nach § 238 Abs. 2 StPO – das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss, der zu begründen und zu protokollieren ist.