Rz. 376
Als Berufungseinlegung wird jede Erklärung angesehen, die deutlich erkennen lässt, dass der Beschwerdeführer das erstinstanzliche Urteil anfechten will. Das Wort "Berufung" muss nicht verwendet werden. Das Rechtsmittel der Berufung führt zu einer Neuverhandlung vor dem Berufungsgericht, in der auf Grundlage des Eröffnungsbeschlusses über alle Tat- und Rechtsfragen neu entschieden wird. Das Berufungsgericht ist an die Überzeugungsbildung des erstinstanzlichen Gerichtes nicht gebunden. In die Berufungsverhandlung können demnach, anders als im Zivilprozess, neue Tatsachen und Beweismittel eingeführt werden. Gemäß § 316 StPO wird die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils gehemmt. Mit Einlegung der Berufung im beschleunigten Verfahren geht dieses in ein Normalverfahren über.
Für die Berufung gilt gem. § 331 Abs. 1 StPO das Verbot der "reformatio in peius". Somit darf das Urteil des Berufungsgerichts in Art und Höhe der Rechtsfolgen nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Berufung eingelegt hat. Ob eine Änderung des Urteils in Art und Höhe der Rechtsfolgen zum Nachteil des Angeklagten vorliegt, ergibt sich erst aus einem Gesamtvergleich des früheren mit dem neuen Rechtsfolgenausspruch. Zu beachten ist, dass das Verschlechterungsverbot nur den Rechtsfolgenausspruch betrifft. Schuldspruchänderungen, Auflagen und Weisungen eines Bewährungsbeschlusses gem. § 268a StPO, Kosten und Auslagenentscheidungen nach § 464 StPO und Entscheidungen gem. § 8 StrEG sind davon nicht erfasst. Das Schlechterstellungsverbot gilt ebenso wenig für die in § 331 Abs. 2 StPO genannten Maßregeln der Besserung und Sicherung nach §§ 63 f. StGB.
Rz. 377
Die Berufung ist gem. § 314 Abs. 1 StPO beim Gericht des ersten Rechtszuges binnen einer Woche nach Urteilsverkündung einzulegen. Vor Verkündung des Urteils ist sie unzulässig. Die Berufung muss schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des zuständigen Gerichts eingelegt werden. Die Einlegung per Telefax mit Unterschrift, Telegramm, Computerfax oder Fernschreiben ohne Unterschrift ist ausreichend. Die telefonische Einlegung eines Rechtsmittels ist dagegen nicht zulässig. Mit Blick auf § 32d StPO wird die Rechtsmitteleinlegung sowie Begründung ab dem 1.1.2022 allein noch im Wege der Versendung elektronischer Dokumente erfolgen können. Allein der "OK"-Vermerk im Sendebericht des Telefax belegt allerdings noch nicht den ordnungsgemäßen Empfang und ist daher nicht geeignet, eine fristgerechte Berufungseinlegung zu beweisen. Im Zweifel gilt aber die Frist als eingehalten. Nach Versäumung der Einlegungsfrist ist nur noch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 44 StPO möglich; eine Fristverlängerung ist ausgeschlossen. Bei abwesenden Angeklagten beginnt die Frist erst mit Zustellung des schriftlichen Urteils, es sei denn, sein Verteidiger war in den in § 314 Abs. 2 StPO abschließend aufgezählten Fällen anwesend.
Rz. 378
Der Gang der Berufungsverhandlung ist in § 324 StPO geregelt. Eine Verlesung der Anklage findet regelmäßig nicht statt, vielmehr hält der Berichterstatter einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. Gemäß § 324 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 StPO kann auf die Verlesung des erstinstanzlichen Urteils verzichtet werden. § 325 StPO gestattet unter bestimmten Voraussetzungen, von einer erneuten Zeugenvernehmung abzusehen und stattdessen die in der vorangegangenen Hauptverhandlung protokollierten Aussagen (vollständig) zu verlesen. Darin liegt eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes der Beweisaufnahme. Sie ist nur dann zulässig, wenn die Beweisqualität nicht beeinträchtigt wird, also die Richtigkeit der früheren Aussage nicht zu bezweifeln ist. Gemäß § 326 S. 1 StPO hält der Beschwerdeführer unter Abweichung von § 258 Abs. 1 StPO den Schlussvortrag zuerst. Es ist auch allgemeine Praxis, dass der Beschwerdeführer auch den Vorrang in der Reihenfolge bei Fragen an Zeugen und Sachverständige erhält.