I. Typischer Sachverhalt
Rz. 247
Herr A erscheint in der Kanzlei mit einem Schreiben des Gerichts, in dem etwas von einer Anklage wegen Körperverletzung steht und nachgefragt wird, ob er vor der Eröffnung des Hauptverfahrens bestimmte Anträge stellen wolle. Herr A will wissen, was es damit auf sich hat. Der Verteidiger erklärt ihm, dass gegen ihn Anklage erhoben wurde und sich das Verfahren augenblicklich im Stadium des Zwischenverfahrens befindet.
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 248
Das Zwischenverfahren ist ein eigenständiger Verfahrensabschnitt innerhalb des Strafverfahrens und hat den Zweck, dass ein Gericht als eine von der Staatsanwaltschaft getrennte, unabhängige Instanz in einem nichtöffentlichen Verfahren überprüft, ob gegen den Angeschuldigten nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ein hinreichender Tatverdacht besteht. Es endet entweder mit dem Eröffnungsbeschluss gem. §§ 203, 207 StPO, der Ablehnung des Hauptverfahrens gem. § 204 Abs. 1 StPO oder der Einstellung des Verfahrens, sei es vorläufig nach § 205 StPO, sei es aus Opportunitätsgründen, §§ 153 Abs. 2, 153a Abs. 2 StPO.
Nach § 201 Abs. 1 StPO kann sich der Angeschuldigte dazu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen beantragen bzw. Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen will. Hier hat der Verteidiger zu überlegen, ob er den im Raum stehenden hinreichenden Tatverdacht in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu erschüttern vermag. Sollte dem so sein, hat er dies in einem Antrag auf Nichteröffnung des Hauptverfahrens geltend zu machen. Mit dem Mandanten ist über die Möglichkeiten des weiteren Vorgehens zu beraten. Im Gespräch mit ihm müssen der Anklagevorwurf durchgesprochen und eine Verteidigungsstrategie entworfen werden. Findet sich kein Ansatzpunkt, erfolgreich gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorzugehen, sollte dem Mandanten klargemacht werden, dass das Verstreichenlassen der Frist des § 201 Abs. 1 StPO an sich keinerlei Nachteile mit sich bringt. Mit Blick auf § 46b StGB bzw. § 31 BtMG ist allerdings zu berücksichtigen, dass taugliche Aufklärungshilfe im Sinne dieser Vorschrift nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens geleistet werden kann, also das Zwischenverfahren insoweit die letzte Möglichkeit hierfür bietet. Zur Vermeidung von Haftungsrisiken ist der Mandant unbedingt hierüber zu informieren und dieser Hinweis nach Möglichkeit auch zu dokumentieren, etwa in einer Aktennotiz oder einem zusammenfassenden Mandantenanschreiben.
1. Zuständigkeit des Gerichts
Rz. 249
Die Vorschriften zur Zuständigkeit gewährleisten den Anspruch des Angeschuldigten auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, denn sie geben abstrakt darüber Auskunft, welches Gericht im jeweiligen Fall zu entscheiden hat. Eine Zuständigkeit des Gerichts als solches gibt es nicht. Die jeweilige Zuständigkeit des Gerichts ist unter verschiedenen Gesichtspunkten zu prüfen. Es ist zwischen örtlicher, sachlicher und funktioneller Zuständigkeit zu unterscheiden. Den Begriff der funktionellen Zuständigkeit kennt das Gesetz selbst nicht. Allgemein werden darunter alle Zuständigkeitsregelungen verstanden, die nicht unter die örtliche und sachliche Zuständigkeit fallen.
a) Zuständigkeit besonderer Strafkammern gem. § 6a StPO und §§ 74 Abs. 2, 74a und 74c GVG
Rz. 250
Neben der allgemeinen großen Strafkammer, die für alle Verbrechen zuständig ist, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts fallen, existieren besondere Strafkammern, die für bestimmte Deliktsgruppen zuständig sind, sich dabei aber weder in ihrer Strafkompetenz noch in ihrer richtermäßigen Besetzung von den normalen großen Strafkammern unterscheiden. Besondere Kammern sind eingerichtet als
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Schwurgerichtskammern für die im Katalog des § 74 Abs. 2 GVG aufgezählten Taten; |
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Wirtschaftskammern nach § 74c GVG; |
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Sonderstrafkammern für Staatsschutzdelikte nach § 74a GVG. |
Rz. 251
Nach § 6 StPO müsste sich die normale Strafkammer, nachdem sie erkannt hat, dass eine Zuständigkeit der besonderen Strafkammer vorliegt, für unzuständig erklären und die Sache verweisen. § 6a StPO dient der Verfahrensvereinfachung und stellt insoweit eine Ausnahme dar. § 6a StPO legt nämlich verschiedene Zeitpunkte fest, ab denen die Feststellung der Unzuständigkeit für das Verfahren keine Rolle mehr spielt: Zum einen den Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens, zum anderen den Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung. Rügt der Angeklagte die Unzuständigkeit der normalen Strafkammer nicht zu dem von § 243 Abs. 5 S. 1 StPO bezeichneten Zeitpunkt, also wenn er nach entsprechender Belehrung gefragt wird, ob er sich zur Sache äußern wolle oder nicht, ist er mit dem Einwand der Unzuständigkeit ausgeschlossen. Er ist mithin präkludiert. Eine Wiedereinsetzung nach § 44 StPO ist nicht möglich, da es sich um eine Ausschlussfrist handelt.