Rz. 175
Voraussetzung der Sicherungshaft nach § 112a StPO ist der dringende Tatverdacht bezüglich einer Straftat des abschließenden und nicht analogiefähigen Kataloges in § 112a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StPO. Dazu kommt, dass bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen müssen, dass der Beschuldigte weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen wird, die Haft zur Abwendung der Gefahr erforderlich und in den Fällen der Nr. 2 eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. Hierbei steht nicht die Sicherung des Strafverfahrens, sondern der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten, also ein präventiver Gesichtspunkt, im Vordergrund. Aber nur unter bestimmten Voraussetzungen überwiegt das Sicherungsbedürfnis der Gemeinschaft gegenüber dem verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten und lediglich verdächtigen Beschuldigten. Bei dem wiederholt oder fortgesetzt begangenen Anlassdelikt muss es sich um eine Straftat handeln, die schon nach ihrem gesetzlichen Tatbestand einen erheblichen, in der Höhe der Strafandrohung zum Ausdruck kommenden Unrechtsgehalt aufweist und den Rechtsfrieden empfindlich stört.
Rz. 176
Darüber hinaus muss die Tat, deren der Beschuldigte dringend verdächtigt wird, auch in ihrer konkreten Gestalt, insbesondere nach Art und Ausmaß des angerichteten Schadens, die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigt haben und im Einzelfall eine hohe Straferwartung begründen. Bei wiederholter Tatbegehung muss jede Tat diesen Schweregrad aufweisen. Es muss aufgrund bestimmter Tatsachen die begründete Gefahr bestehen, der Beschuldigte werde vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder diese fortsetzen. Zur Abwendung dieser Gefahr muss die Haft erforderlich sein. Der Haftzweck kann mithin im konkreten Einzelfall auch nicht durch Anwendung von § 116 Abs. 3 StPO erreicht werden.
Rz. 177
Bestimmte Tatsachen i.S.d. § 112a StPO ergeben sich aus:
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in der Vergangenheit wiederholten Sittlichkeitsdelikten; |
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dem Vorleben des Beschuldigten und seinen Vorstrafen; |
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dem sozialen Umfeld; |
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der Drogenabhängigkeit. |
Rz. 178
Für die Bejahung einer Wiederholungsgefahr war früher das Regelerfordernis einer rechtskräftigen einschlägigen Vorverurteilung notwendig. Gleichwohl ist zu beachten, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 112a StPO u.a. damit begründet hat, die Annahme der Wiederholungsgefahr könne nicht auf bloße Vermutungen, sondern müsse auf Tatsachen gestützt werden. An die Annahme der Wiederholungsgefahr sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen, wenn die Prognose nicht auf die Grundlage einer Vorverurteilung zu Freiheitsstrafe wegen einer Straftat gleicher Art gestützt werden kann. Daher müssen überzeugungskräftige, gleichwertige Indizien vorliegen, wie etwa schnelle Tatfrequenz, Tatbegehung in großer Serie, Ankündigung weiterer Straftaten durch den Tatverdächtigen oder eine noch nicht rechtskräftige Vorverurteilung bei eindeutiger Beweislage (z.B. glaubhaftes Geständnis), bei der voraussichtlich auf eine Freiheitsstrafe erkannt werden wird. Die zu erwartende Wiederholung muss nicht zwingend dasselbe Strafgesetz verletzen oder denselben Qualifikationstatbestand erfüllen wie die Anlasstat.
Rz. 179
Der Haftgrund des § 112a Abs. 1 StPO ist gem. Abs. 2 subsidiär gegenüber § 112 StPO. Es verbietet sich daher, einen Haftbefehl in erster Linie auf § 112 StPO und hilfsweise auf § 112a StPO zu stützen. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr greift also erst, wenn Flucht- und Verdunkelungsgefahr zu verneinen sind. Ein auf Wiederholungsgefahr gestützter Haftbefehl verliert nach einem Jahr seine Wirksamkeit, § 122a StPO.