Rz. 439
Das Ordnungswidrigkeitenrecht beruht auf der Erkenntnis, dass es eine Reihe von Verstößen gibt, die sich grundlegend von Straftaten unterscheiden. Deshalb hat der Gesetzgeber bewusst solche Verhaltensweisen aus dem Bereich des Strafrechts ausgeklammert, die in ihrem Unrechtsgehalt erheblich unter denjenigen von Straftaten liegen. Das Ordnungswidrigkeitenrecht kennt auch keine "Strafe" im engeren Sinne; Verstöße gegen OWi-Tatbestände führen lediglich zu einer "Ahndung". Dabei handelt es sich um eine mildere Form der Sanktion, die keinen Schuldausgleich für sozialschädliches Verhalten bezweckt, sondern allein der erzieherischen Einwirkung dienen soll. Weil es sich bei einer solchen Sanktion nicht um eine "Strafe" handelt, erfolgt beispielsweise auch kein Eintrag ins Bundeszentralregister.
Rz. 440
Der Strafprozess ist vom Legalitätsprinzip beherrscht, so dass die Staatsanwaltschaft nach § 152 Abs. 2 StPO grundsätzlich auch alle strafbaren Handlungen zu verfolgen hat. Insoweit besteht also grundsätzlich kein Ermessensspielraum. Allerdings lassen die §§ 153 ff. StPO unter bestimmten Voraussetzungen und in eng begrenztem Umfang Durchbrechungen zu, so dass dem Strafprozess Opportunitätserwägungen nicht völlig fremd sind. Im Gegensatz dazu beansprucht im Ordnungswidrigkeitenrecht der Opportunitätsgrundsatz umfassend Geltung, vgl. § 47 Abs. 2 OWiG. Dieser gilt nicht nur vor der Verwaltungsbehörde, sondern auch für das sich möglicherweise anschließende gerichtliche Verfahren. Aufgrund des Opportunitätsprinzips besteht für die Verwaltungsbehörde keine Verpflichtung, ein Bußgeldverfahren einzuleiten und durchzuführen, sondern sie kann darüber in pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, wobei die erforderliche Abwägung nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu erfolgen hat.
Rz. 441
Die allgemeinen Voraussetzungen sowie die entsprechenden Rechtsfolgen von Ordnungswidrigkeiten werden im OWiG vollständig und abschließend geregelt. Nach § 1 OWiG sind Ordnungswidrigkeiten – ähnlich wie im Strafrecht – Handlungen, die einen gesetzlichen Tatbestand erfüllen, rechtswidrig sind und vorwerfbar begangen werden. In den §§ 111 ff. OWiG sind einige OWi-Tatbestände angeführt. Die Mehrzahl ist jedoch in speziellen Gesetzen, etwa im StVG, StVO, StVZO, FVZ oder FeV für den Bereich des Straßenverkehrs, zu finden.
Rz. 442
Die zentrale Sanktion des Ordnungswidrigkeitenrechts stellt die Geldbuße nach § 17 OWiG dar. Die Höhe der Geldbuße wird durch einen Mindest- sowie einen Höchstbetrag begrenzt. Der Bußgeldrahmen liegt in der Regel gem. § 17 Abs. 1 OWiG zwischen 5 EUR und höchstens 1.000 EUR. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der jeweilige Bußgeldtatbestand keine eigene Regelung enthält. Der Gesetzgeber kann nämlich abweichende Obergrenzen festlegen, wovon an zahlreichen Stellen auch Gebrauch gemacht wurde. So sind beispielsweise im Straßenverkehr OWi-Tatbestände vorhanden, die mit bis zu 3.000 EUR geahndet werden, vgl. § 24a Abs. 4 StVG. Im Betäubungsmittelrecht sind Verstöße mit bis zu 25.000 EUR bedroht, vgl. etwa § 32 Abs. 2 BtMG.
Rz. 443
Gem. § 17 Abs. 2 OWiG wird der Bußgeldrahmen für Fahrlässigkeitstaten im Höchstmaß auf die Hälfte der vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit herabgesetzt, sofern kein eigener Bußgeldrahmen vorgesehen ist.
Rz. 444
Als eine besondere Sanktion kommt bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten noch die gegenüber der Geldbuße mildere "Verwarnung" nach § 56 OWiG in Betracht. Eine solche Verwarnung wird unter keinen Umständen in das Fahreignungsregister eingetragen, auch wenn eine Verkehrsordnungswidrigkeit vorliegen sollte. Die Verwarnung kann mit einem Verwarnungsgeld versehen werden, wobei die Höhe des Verwarnungsgelds zwischen 5 EUR und maximal 55 EUR liegt. Der Betroffene muss mit der Verwarnung einverstanden sein. Wird eine Verwarnung durch Bezahlen des Verwarnungsgelds wirksam, so kann die fragliche Tat nicht weiterverfolgt werden. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass unentgeltliche Verwarnungen nicht in Rechtskraft erwachsen.
Rz. 445
Außer der Verhängung einer Geldbuße kommen ähnlich wie im Strafverfahren als Nebenfolge von Ordnungswidrigkeiten noch die Einziehung gem. §§ 22 ff. OWiG sowie der Verfall gem. §§ 29a ff. OWiG in Betracht. In zahlreichen Nebengesetzen sind weitere spezielle Nebenfolgen enthalten, wozu beispielsweise auch das Fahrverbot gem. § 25 StVG zählt.
Rz. 446
Für den Bereich des Straßenverkehrs sind seit dem Jahr 2002 die Höhe der Bußgelder und eventuelle Nebenfolgen für verschiedenste Vergehen im Straßenverkehr bundeseinheitlich im sog. Bußgeldkatalog geregelt. Außerdem sind dort auch noch mögliche Verwarnungen samt Verwarnungsgeldtatbeständen erfasst.
Rz. 447
Das Besondere am OWi-Verfahren ist, dass gem. § 46 Abs. 1 OWiG die allgemeinen Vorschriften über das Strafverfahren, insbesondere die StPO, das GVG sowie das JGG sinngemäß Anwendung finden, sofern nicht Sonderregelungen für das OWi-Verfahren vorhanden sind. So regelt beispielsweise § 49 OWiG das Akteneinsichtsrecht oder §...