1. Typischer Sachverhalt

 

Rz. 140

Herr A ist des sexuellen Missbrauchs eines Kindes verdächtig. Er bestreitet die Tat. Für das angebliche Tatgeschehen gibt es außer dem Kind keine weiteren Zeugen. Rechtsanwalt R überlegt deshalb, ob er zur Frage des dringenden Tatverdachts ein Gutachten eines zur Beurteilung kindlicher Zeugenaussagen befähigten Sachverständigen beantragen soll. Er fragt sich ferner, ob ein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit von Herrn A sinnvoll ist, wenn sich der dringende Tatverdacht gegen seinen Mandanten verdichten sollte.

2. Rechtliche Grundlagen

 

Rz. 141

Erwägt die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren ein Sachverständigengutachten – etwa zur Frage der Schuldfähigkeit des Beschuldigten oder zur Glaubwürdigkeit eines kindlichen oder jugendlichen Zeugen bei Sexualdelikten oder anderen schwierigen Beweisfragen, zu deren Beantwortung die Hilfe eines Sachverständigen erforderlich ist – einzuholen, hat der Staatsanwalt vor der Auswahl eines Sachverständigen dem Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, es sei denn, dass Gegenstand der Untersuchung ein häufig wiederkehrender, tatsächlich gleichartiger Sachverhalt (z.B. bei Blutalkoholgutachten oder Gutachten zur Bestimmung von Wirkstoffgehalten sichergestellter Betäubungsmittel) ist oder eine Gefährdung des Untersuchungszwecks oder eine Verzögerung des Verfahrens zu besorgen ist. Dies schreibt Nr. 70 Abs. 1 RiStBV zwingend vor. Gleichwohl wird diese Vorschrift von der Staatsanwaltschaft häufig ignoriert, weil sie bestimmte Sachverständige bevorzugt. Oft lässt sich im Ermittlungsverfahren schon früh erkennen, dass zu bestimmten Beweisfragen ein Sachverständiger hinzuzuziehen ist. Dann sollte der Verteidiger frühzeitig zu erkennen geben, dass er auf die Auswahl des Sachverständigen Einfluss nehmen will.[61]

[61] Ausführlich zum Umgang mit Sachverständigen: Breyer/Endler-Klein, AnwaltFormulare Strafrecht, Kap. 2 Rn 435 ff.

3. Muster: Anregung auf Sachverständigengutachten im Ermittlungsverfahren

 

Rz. 142

Muster 41.20: Anregung auf Sachverständigengutachten im Ermittlungsverfahren

 

Muster 41.20: Anregung auf Sachverständigengutachten im Ermittlungsverfahren

An die Staatsanwaltschaft _____

Az. _____

In der Strafsache gegen _____ wegen _____

bestreitet mein Mandant die ihm zur Last gelegte Tat. Er wird allein durch das Kind B belastet. Sonstige Zeugen sind für das angebliche Tatgeschehen nicht vorhanden. Sollte der dringende Tatverdacht weiter allein auf diese Aussage gestützt werden, liegt es nahe, mit der Frage der Glaubwürdigkeit des Kindes einen zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit kindlicher Zeugenaussagen besonders befähigten Sachverständigen zu befassen. Wenn auch die Staatsanwaltschaft dies erwägt, bitte ich mir als Verteidiger Gelegenheit zu geben, vor der Auswahl eines Sachverständigen Stellung zu nehmen. Ich werde einen geeigneten Sachverständigen vorschlagen. Auf Nr. 70 Abs. 1 RiStBV weise ich ausdrücklich hin. Würde mir keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, wären das Gebot der Waffengleichheit, des rechtlichen Gehörs sowie der Fair-Trial-Grundsatz verletzt. Dies würde ich im weiteren Verfahren rügen.

Entsprechendes gilt, wenn sich der dringende Tatverdacht erhärten sollte und sich deswegen die Frage nach der Schuldfähigkeit meines Mandanten und eines dazu etwaig einzuholenden Sachverständigengutachtens stellen sollte.

(Rechtsanwalt)

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