Rz. 62

Erbringt der Spediteur weitergehende logistische Leistungen, die keinen Beförderungsbezug haben, trifft ihn eine Verschuldenshaftung in der Regel nach Werkvertragsrecht, ggf. auch nach dem Recht anderer BGB-Vertragstypen oder dem Lagerrecht.

 

Rz. 63

Das Thema "Haftung" ist bei der Erbringung logistischer Leistungen ein problembehaftetes Thema, weil es dort Abgrenzungsprobleme verursacht, wo das frachtrechtliche Haftungssystem (§§ 425 ff. HGB, "Gefährdungs"haftung) auf die ansonsten im HGB und BGB verankerte Verschuldenshaftung trifft.[75] Der Anwalt muss auf folgende Abgrenzungsprobleme achten:

1.

Unterschiedliche Sorgfaltsmaßstäbe

im Verkehr erforderliche Sorgfalt, § 276 BGB
größte Sorgfalt, § 426 HGB
2.

Unterschiede in der Entschädigung

Schadensersatzprinzip, §§ 249 ff. BGB
Wertersatzprinzip (insbesondere kein Ersatz von Güterfolgeschäden),[76] §§ 429, 430 HGB
3.

Haftungshöchstsummen

unbeschränkte Haftung

begrenzte Haftung, § 431 HGB

  • Güterschäden: 8,33 SZR/kg
  • Verspätungsschäden: dreifache Fracht

Darüber hinaus kann die Zuordnung einzelner Tätigkeiten zu einem bestimmten Vertragstyp Schwierigkeiten bereiten. So kann das Verpacken von Gütern eine speditionelle Tätigkeit i.S.v. § 454 Abs. 2 HGB, eine Nebenleistung zum Lagervertrag nach § 467 HGB, aber auch Haupt- oder Nebenleistung eines Werkvertrags nach § 635 BGB sein.[77]

Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass der Spediteur als Logistiker sich mit "branchenfremden" Haftungsnormen, z.B. nach dem Produkthaftungsgesetz, auseinandersetzen muss, weil er entweder direkt oder aufgrund einer vereinbarten Freistellung in Anspruch genommen werden kann.

 

Rz. 64

Bei der Beratung des Mandanten wird der Anwalt verschiedene Aspekte bei der Vertragsgestaltung zu beachten haben. Er muss prüfen, ob die oben dargestellten Abgrenzungsprobleme durch ein einheitliches Haftungskonzept überwunden werden können. Ein einheitliches Haftungskonzept lässt sich auf zwei Wegen erreichen.

Zum einen kann man das frachtrechtliche Haftungssystem auf das gesamte Logistikgeschäft ausdehnen. Rechtlich ist das zunächst insoweit unproblematisch, da es sich – mit Ausnahme des Produkthaftungsgesetzes – um dispositives Recht handelt und somit in den Grenzen der §§ 138, 242 BGB bzw. des AGB-Rechts (§§ 305 ff. BGB) vertragliche Vereinbarungen möglich sind. Als AGB-rechtlich problematisch kann es jedoch angesehen werden, dass

die Übernahme des frachtrechtlichen Haftungssystems einen Haftungsausschluss für Güterfolgeschäden beinhaltet;
die Messlatte für eine Haftungsdurchbrechung in § 435 HGB höher liegt als bei am AGB-Recht ausgerichteten Klauseln, wonach eine Freizeichnung des AGB-Verwenders und seiner Erfüllungsgehilfen grundsätzlich nur bis zur Grenze der groben Fahrlässigkeit möglich (Indizwirkung von § 309 Nr. 7b BGB) und darüber hinaus eine umfassende Freizeichnung von wesentlichen Vertragspflichten grundsätzlich unwirksam ist (vgl. Rdn 68).

Diese Punkte sind bei einem Wechsel des "Haftungsmodells" zu prüfen.

Zum anderen ist es möglich, die Verschuldenshaftung auf das Frachtgeschäft auszudehnen. Aufgrund des AGB-festen Charakters der frachtrechtlichen Haftungsnormen im HGB ist dies nur im Rahmen einer Individualvereinbarung möglich (vgl. Rdn 32). D.h., es muss ein individuelles Aushandeln zumindest der Haftungsklauseln stattfinden und diese Verhandlungen müssten aus Beweisgründen auch dokumentiert werden.

In beiden Fällen sind jedenfalls die Grenzen zu beachten, die durch internationale frachtrechtliche Übereinkommen wie die CMR als beidseitig zwingendes Recht vorgegeben werden.

Ein einheitliches Haftungskonzept lässt sich deshalb in der Praxis nur schwer verwirklichen.

 

Rz. 65

Es bleibt die Möglichkeit, von der gesetzlichen Haftung als Grundlage auszugehen. Um hier aber Abgrenzungsprobleme in tatsächlicher Hinsicht so weit wie möglich auszuschließen, sollten die einzelnen logistischen Tätigkeiten einzelnen Vertragsbereichen und damit Vertragstypen zugeordnet werden.

Da das Frachtrecht überwiegend AGB-fest (national: HGB) oder zwingend (international: CMR u.a.) ausgestaltet ist und der vertragliche Freiraum zur Regelung von Haftungsfragen hier erheblich eingeschränkt ist, bietet es sich an, an dieser Stelle hinsichtlich der Haftungsregeln zu differenzieren und die einzelnen Tätigkeiten einem "Beförderungssektor" und "Nicht-Beförderungssektor" zuzuordnen. Beim "Nicht-Beförderungssektor" kann auch noch zwischen lager- (und umschlags)bezogenen und sonstigen Tätigkeiten unterschieden werden, da im "Lagersektor" gewichtsbezogene Haftungsbegrenzungen üblich sind. Darüber hinaus sollte der Haftungszeitraum (Schnittstellen) definiert werden, damit der jeweilige Verantwortungsbereich klargestellt wird. Dies gilt sowohl für das Verhältnis Auftraggeber – Spediteur, kann aber auch für die Abgrenzung des "Beförderungssektors" vom "Nicht-Beförderungssektor" sinnvoll sein.

Besonders wichtig ist die Vereinbarung von Haftungsbegrenzungsklauseln. Im Hinblick auf die Versicherbarkeit des Haftungs...

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