Rz. 26

Vom Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes (MiLoG) werden grundsätzlich alle Arbeitnehmer erfasst. Da nach dem Beispielsfall (siehe Rdn 1) auch ausländische Arbeitnehmer zum Einsatz kommen sollen, ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nach den §§ 16, 20 MiLoG auch Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, die einen Arbeitnehmer in Deutschland im Rahmen eines Dienst- und Werkvertrags beschäftigen, verpflichtet sind, den Mindestlohn zu zahlen. Der Mindestlohn gilt daher auch für Arbeitnehmer, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen, aber in Deutschland tätig sind – und zwar auch dann, wenn im Übrigen das Arbeitsrecht des entsendenden Staates Anwendung findet. Auf die Dauer des Einsatzes kommt es nach dem Gesetzeswortlaut nicht an.

Nach Rechtsauffassung des BMAS handelt es sich bei den Regelungen des MiLoG um eine echte "Eingriffsnorm" des Internationalen Privatrechts (Art. 9 Rom I-VO), die sich auch gegen eine ausländische Arbeitsordnung durchsetzt.[32] Das MiLoG ist damit auf alle Sachverhalte anzuwenden, die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Der Mindestlohn gilt damit für ausländische Arbeitnehmer auch dann, wenn sie von einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland "nur" vorübergehend eingesetzt werden. Der Anwendungsbereich ist allein dadurch eingeschränkt, dass die Beschäftigung "im Inland" erfolgt. Der Mindestlohn ist danach "nur" für den innerdeutschen Streckenanteil zu zahlen. Durch die Richtlinie (EU) 2020/1057 vom 15.7.2020 zur Festlegung besonderer Regelungen im Zusammenhang mit der Entsendung von Kraftfahrern im Straßengüterverkehr soll dieser "Flickenteppich" beseitigt werden. Die EU-Mitgliedstaaten haben die neuen Regelungen innerhalb von 18 Monaten umzusetzen.

Das BMAS hat für die Speditions- und Transportbranche zudem festgestellt, dass das MiLoG für ausländische Unternehmen für

die Kabotage (Be- und Entladung in Deutschland) und
den grenzüberschreitenden Verkehr (Be- oder Entladung in Deutschland) und
den Transitverkehr (weder Be- noch Entladung in Deutschland)

gilt.

 

Rz. 27

Da der weite Geltungsbereich des MiLoG für internationale Transporte umstritten ist, hat das BMAS bis zu einer Klärung der europarechtlichen Fragen zur Anwendung des MiLoG im internationalen Verkehr die Kontrollen zur Überprüfung bezogen auf den Transitverkehr ausgesetzt.[33] Zudem sind Meldungen bzw. Einsatzplanungen gem. § 16 MiLoG von den ausländischen Unternehmen für einen reinen Transittransport an die deutsche Zollverwaltung nicht abzugeben. Sie gilt nicht für den Bereich der Kabotage und nicht für den grenzüberschreitenden Verkehr und nur so lange, bis die europarechtliche Anwendung des deutschen Mindestlohns geklärt ist. Sie bezieht sich auch "nur" auf die Kontrolle, Ahndung und Meldepflichten, nicht aber auf den Anspruch des Lkw-Fahrers auf Zahlung des Mindestlohns.

 

Rz. 28

Neben dieser bußgeldrechtlichen Betrachtung ist auch die zivilrechtliche Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG zu berücksichtigen, die ihrem Wesen nach eine verschuldensunabhängige Durchgriffshaftung ist. Der Spediteur als Auftraggeber haftet wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet, für die Verpflichtungen seiner Auftragnehmer zur Zahlung des Mindestlohns. Eine Exkulpationsmöglichkeit des Auftraggebers besteht nicht. Zudem gilt die Auftraggeberhaftung für die gesamte Nachunternehmerkette, d.h. der Auftraggeber haftet für die Verpflichtungen

seines Auftragnehmers (z.B. Frachtführer),
eines vom Auftragnehmer beauftragten weiteren Auftragnehmers (Nachunternehmer, z.B. Unterfrachtführer) und
eines vom Auftragnehmer oder vom Nachunternehmer beauftragten Verleihers

auf Zahlung des Mindestlohns. § 13 MiLoG verweist hierbei lediglich auf § 14 AEntG. Der Auftraggeber haftet "nur" für das Netto-Entgelt, also abzüglich Steuern und Sozialversicherungsbeiträge (§ 14 S. 2 AEntG).

 

Rz. 29

Sofern der Auftraggeber als Bürge den "fremden" Arbeitnehmer befriedigt und den Mindestlohn zahlt, geht die Forderung des "unterbezahlten" Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber kraft Gesetzes (§ 774 BGB) auf den Auftraggeber als Bürgen über. Diesen Anspruch kann nun der Auftraggeber gegen den Auftragnehmer im Innenverhältnis in voller Höhe geltend machen.

Darüber hinaus haften mehrere Auftraggeber in einer Vertragskette (Transportkette) als Gesamtschuldner. Derjenige Auftraggeber, der die Schuld begleicht, erhält einen Ausgleichsanspruch gegen die Mitauftraggeber.

 

Rz. 30

Jeder Anwalt sollte prüfen, inwieweit es zur Minimierung bußgeldrechtlicher und zivilrechtlicher Risiken notwendig ist, entsprechende Vertragsklauseln aufzunehmen. U.a. könnten folgende Punkte eine Regelung erfahren:

Die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Zahlung des Mindestlohns. Der Auftraggeber sollte den Auftragnehmer verpflichten, dass dieser den Mindestlohn rechtzeitig zahlt.
Die Verpflichtung des Auftragnehmers, die angefragten Leistungen selbst zu erbringen bzw. dies von der Zustimmung des Auftraggebers abhängig zu machen. Denn jede Weitergabe des Auftr...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?