Rz. 1472

Die Betriebsvereinbarung findet ihre gesetzliche Regelung in § 77 BetrVG. Sie hat nach § 44 Abs. 4 BetrVG normative Wirkung gegenüber Arbeitgeber und Arbeitnehmer, gestaltet bzw. überlagert automatisch – ohne dass es einer weiteren Umsetzung, etwa durch Direktionsrecht, bedarf – die im Arbeitsverhältnis bestehenden Arbeitsbedingungen und stellt die wichtigste Form der Einigung zwischen den Betriebspartnern dar. Soweit sie Rechte und Pflichten der Betriebspartner zueinander regelt, entfaltet sie schuldrechtliche Wirkungen.

 

Rz. 1473

Die Rechtsnatur der Betriebsvereinbarung ist umstritten. Nach der überwiegend vertretenen Vertragstheorie ist sie ein privatrechtlicher kollektiver Normenvertrag, der zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgeschlossen wird und kraft staatlicher Ermächtigung die betrieblichen Arbeitsverhältnisse unmittelbar und zwingend gestaltet (GK/Kreutz, § 77 Rn 40 ff.; Fitting, § 77 BetrVG Rn 13 f.). Nach der Gegenansicht stellt die Betriebsvereinbarung eine autonome Satzung dar, die einen schuldrechtlichen Inhalt hat ("Satzungstheorie", vgl. Herschel, RdA 1948, 47). Die praktischen Auswirkungen dieses Meinungsstreites sind jedoch gering.

 

Rz. 1474

Wegen ihres Charakters als Normen sind Betriebsvereinbarungen nach den für Tarifverträge und Gesetze geltenden Grundsätzen auszulegen. Dabei ist vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn auszugehen. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelungen, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Betriebsparteien geben kann. Soweit kein eindeutiges Auslegungsergebnis möglich ist, kommen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Auslegungskriterien, wie etwa eine regelmäßige Anwendungspraxis oder die Normengeschichte, in Betracht. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt. Bedeutsam für die Auslegung sind die Verhältnisse bei ihrem Abschluss und das Verständnis der Betriebsparteien, das sich aus dem Kontext der Regelungen ergibt. Ebenso kann – wenn im Einzelfall noch Zweifel verbleiben – auf die Entstehungsgeschichte der Betriebsvereinbarung zurückgegriffen werden (BAG v. 8.3.2022 – 3 AZR 420/21, juris; BAG v. 25.1.2022 – 3 ABR 345/21, juris; instruktiv auch BAG v. 13.10.2021 – 10 AZR 729/19, juris).

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