Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 569
Betriebsratstätigkeit ist grds. innerhalb der Arbeitszeit abzuwickeln. Daher ist der Betriebsratsvorsitzende grds. zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet, ein Anhörungsschreiben des Arbeitgebers zur Kündigung eines Arbeitnehmers außerhalb seiner Arbeitszeit entgegenzunehmen (BAG v. 27.8.1982 – 7 AZR 30/80, juris). Einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes hat ein Betriebsratsmitglied bei Betriebsratstätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit gem. § 37 Abs. 3 BetrVG nur dann, wenn diese
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zusätzlich zu der vertraglich geschuldeten oder der durch erforderliche Betriebsratstätigkeit ausgefüllten Arbeitszeit geleistet werden und |
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dies aus betriebsbedingten Gründen geschieht. |
Rz. 570
Aus betriebsbedingten Gründen i.S.d. § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG wird Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit nur dann geleistet, wenn der Arbeitgeber darauf Einfluss genommen hatte, dass sie nicht während der Arbeitszeit verrichtet wurde (BAG v. 26.1.1994 – 7 AZR 593/92, juris). Einen vom Grundsatz des unentgeltlichen Ehrenamtes abweichenden gesetzlichen Regelungsplan, dass Freizeitopfer immer durch die Zahlung einer angemessenen Vergütung auszugleichen wären, gibt es nicht (BAG v. 28.5.2014 – 7 AZR 404/12, juris). Es müssen vielmehr objektiv bestimmte Gegebenheiten und Sachzwänge innerhalb der Betriebssphäre vorliegen, die es nicht zulassen, die Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit durchzuführen. Hierzu kann auch gehören, dass erforderliche Betriebsratstätigkeit an einem Tag stattgefunden hat, an dem das Betriebsratsmitglied zum Ausgleich von anderweitiger Betriebsratstätigkeit freigestellt war (LAG Köln v. 3.2.2012 – 4 Sa 888/11, juris), allerdings dürften in diesem Fall besondere Anforderungen an die Erforderlichkeit auch hinsichtlich des Zeitpunkts der eigentlich in der Freizeit verrichteten Betriebsratstätigkeiten zu stellen sein. Der Umstand, dass eine Sitzung des Betriebsrats stattfindet, gehört – ähnlich wie bei Urlaub des Betriebsratsmitglieds – nicht dazu.
Rz. 571
Als Sachzwang gilt – durch die 2001 erfolgte Aufnahme des § 37 Abs. 3 S. 2 BetrVG ist die betreffende Rspr. kodifiziert – auch, wenn das betroffene Betriebsratsmitglied andere Arbeitszeiten hat als die Mehrheit der anderen Betriebsratsmitglieder, sodass es an der Betriebsratssitzung außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit teilnehmen oder sonstige Betriebsratstätigkeiten außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit verrichten muss (BAG v. 18.1.2017 – 7 AZR 224/15, juris).
Rz. 572
Ohne Hinzutreten besonderer Umstände kann regelmäßig nicht vom Vorliegen betriebsbedingter Gründe ausgegangen werden, wenn sich das Betriebsratsmitglied entschließt, während der ihm erteilten Arbeitsbefreiung oder während seines Urlaubs Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen – eine zusätzliche Vergütungspflicht oder ein Freizeitausgleich scheiden somit aus (BAG v. 28.5.2014 – 7 AZR 404/12, juris).
Rz. 573
Beispiel
Das Betriebsratsmitglied arbeitet im Schichtbetrieb am Band und kann aus der Schicht nicht herausgenommen werden. Denkbar ist auch, dass Kundentermine die erforderliche Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit nicht zulassen oder dass aufgrund einer außerordentlichen betrieblichen Konfliktsituation zusätzliche Betriebsratstätigkeiten anfallen, die während der Arbeitszeit nicht abgewickelt werden können.
Rz. 574
Letztlich liegt es beim Arbeitgeber und seiner Arbeitsorganisation, ob die betrieblichen Gründe so gewichtig sind, dass sie eine Betriebsratstätigkeit außerhalb der individuellen Arbeitszeit geboten erscheinen lassen (vgl. BAG v. 3.12.1987 – 6 AZR 569/85, juris; BAG v. 19.3.2014 – 7 AZR 480/12, juris: Zeitungszusteller). Der Arbeitgeber kann nämlich Vorkehrungen treffen, die es ermöglichen, die Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit durchzuführen. Deshalb ist ein Fall des § 37 Abs. 3 BetrVG auch dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber darauf Einfluss genommen hat, dass die Betriebsratstätigkeit nicht während der Arbeitszeit stattfinden kann. Daran fehlt es dagegen, wenn die Sitzung der Betriebsräteversammlung vom Gesamtbetriebsrat ohne Notwendigkeit so gelegt worden ist, dass Reisezeiten außerhalb der Arbeitszeit anfallen (BAG v. 26.1.1994 – 7 AZR 593/92, juris).
Rz. 575
Im Konfliktfall entscheidet der Betriebsrat nach pflichtgemäßem Ermessen selbst darüber, ob die Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit durchgeführt wird. Es ist aber zweckmäßig, darüber vorher mit dem Arbeitgeber Einvernehmen zu erzielen. Der Arbeitgeber darf Betriebsratsarbeit nicht behindern und muss daher für eine Vertretung sorgen, um dem Betriebsratsmitglied die Teilnahme an der Betriebsratssitzung während der Arbeitszeit zu ermöglichen. Sind mehrere zusammen in einer Schicht arbeitende Betriebsratsmitglieder unabkömmlich, kann der Betriebsrat in Abstimmung mit dem Arbeitgeber die Betriebsratssitzung außerhalb ihrer individuellen Arbeitszeit ansetzen. Die Betriebsratstätigkeit muss also auf Betreiben des Arbeitgebers aus der Arbeitszeit in die Freizeit verlagert wo...