Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 355
§ 23 Abs. 1 BetrVG ermöglicht die Amtsenthebung eines Betriebsratsmitgliedes bei grober Verletzung dessen gesetzlicher Pflichten. Ein entsprechender Antrag kann durch mindestens ein Viertel der regelmäßig beschäftigten wahlberechtigten Arbeitnehmer, den Arbeitgeber, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder den Betriebsrat beim ArbG gestellt werden. Beim Antrag des Betriebsrates auf Ausschluss ist das Betriebsratsmitglied, um dessen Amtsenthebung es geht, weder mitberatungs- noch abstimmungsberechtigt. I.d.R. wird der Betriebsrat aber verpflichtet sein, das Betriebsratsmitglied vor dem Antrag zu hören. Ein gerichtlicher Ausschluss wird erst mit rechtskräftiger Entscheidung der ArbGe wirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das Betriebsratsmitglied in seinen Handlungen nicht eingeschränkt. Das Antragsrecht des Arbeitgebers besteht nur dann, wenn seine Rechtsstellung betroffen ist, nicht aber bei internen Auseinandersetzungen im Betriebsrat.
Rz. 356
Der Antrag wird unzulässig, wenn er sich auf den Ausschluss aus dem gewählten Betriebsrat bezieht, sobald dessen Amtszeit beendet ist (BAG v. 18.5.2016 – 7 ABR 81/13, juris). Wird er auf den Ausschluss aus dem neu gewählten Betriebsrat umgestellt oder erweitert, soll er nach verbreiteter Auffassung zwingend und ohne Ausnahme unbegründet sein (so jetzt ausdrücklich BAG v. 27.7.2016 – 7 ABR 14/15, juris). Begründet wird dies mit systematischen Erwägungen und mit dem Wortlaut des § 24 Nr. 5 BetrVG sowie mit der Problematik, dass es ansonsten von Zufälligkeiten abhinge, ob das Ausschlussverfahren noch innerhalb der Amtszeit desselben Betriebsratsgremiums abgeschlossen sei. Das Gesetz nehme es hin, dass vergangene Pflichtverletzungen ohne Auswirkung auf die Mitgliedschaft im künftigen Betriebsrat bleiben könnten. Das Ausschlussverfahren sei zudem nicht die einzige Möglichkeit, auf Pflichtverletzungen zu reagieren. Der Arbeitgeber könne die Zulässigkeit bestimmten Handelns durch einen Feststellungsantrag klären oder entsprechend § 1004 BGB einen Unterlassungsanspruch geltend machen. Zudem könnten Pflichtverletzungen aus vergangenen Amtsperioden bei Wiederholungsverhalten mitberücksichtigt werden.
Rz. 357
Diese Auffassung erscheint zumindest bei einer Wiederwahl des Betriebsratsmitgliedes, dessen Amtsenthebungsverfahren im Zeitpunkt der Wahl noch läuft, dann als problematisch, wenn der Verstoß – z.B. bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Verschwiegenheitspflicht in Bezug auf Firmenvorhaben oder persönliche Daten der Mitarbeiter – Fortwirkung entfaltet (anders LAG München v. 28.4.2014 – 2 TaBV 44/13, juris: Antrag ist nach Ablauf der Amtszeit unzulässig, selbst wenn das Betriebsratsmitglied wieder neu gewählt worden ist, in einem Fall, in dem dem Betriebsratsmitglied unwahre rufschädigende Äußerungen auch gegenüber einer Zeitung vorgeworfen wurden; wie hier LAG Düsseldorf v. 23.1.2015 – 6 TaBV 48/14, juris, Vorinstanz zu BAG 27.7.2016, a.a.O., für den Fall, dass die Pflichtverletzung konkrete Auswirkungen auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem neugewählten Betriebsrat und dem Arbeitgeber hat, was etwa der Fall sei, wenn das Betriebsratsmitglied nicht nur ein vom Arbeitgeber als geheimhaltungsbedürftig bezeichnetes Betriebsgeheimnis öffentlich gemacht hat, sondern zugleich zum Ausdruck gebracht hat, dies auch zukünftig so handhaben zu wollen; ähnlich Richardi/Thüsing, § 23 Rn 41; auch GK/Oetker, § 23 Rn 59 ff.). Als vertretbar erscheint die Auffassung des BAG allerdings deswegen, weil wirklich schwerwiegende Verstöße meist auch Pflichtverletzungen aus dem Arbeitsverhältnis sind und daher häufig die außerordentliche Kündigung rechtfertigen können.
Rz. 358
Die Amtsenthebung setzt einen groben Pflichtverstoß gegen die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten voraus, also eine Pflichtverletzung, die objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend ist (LAG Rheinland-Pfalz v. 6.7.2005 – 9 TaBV 19/05, juris). Auch Pflichtverletzungen, die das Betriebsratsmitglied in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender begangen hat – hier: gezielte Nichtinformation der Betriebsratsminderheit über wichtige Betriebsratsangelegenheiten über mehrere Wochen hinweg – können den Ausschluss rechtfertigen (LAG Hessen v. 19.9.2013 – 9 TaBV 225/12, juris). Eine grobe Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten – etwa die Überlassung von Unterlagen in großem Umfang an Prozessbevollmächtigte – kann weit mehr als zwei Jahre später einen Ausschlussantrag nicht mehr begründen (LAG Hamm v. 18.6.2021 – 13 TaBV 12/20, juris).
Rz. 359
Allerdings ist der Arbeitgeber nicht antragsbefugt, soweit der Ausschlussantrag auf eine Pflichtverletzung gestützt wird, die das Verhältnis zu anderen Betriebsratsmitgliedern betrifft (LAG Berlin-Brandenburg v. 31.5.2017 – 15 TaBV 1979/16, juris). Ein den Ausschluss rechtfertigender grober Verstoß kann nur angenommen werden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die weitere Amtsausübung des Betriebsratsmitgliedes untragbar er...