Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
a) Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 1520
Der persönliche Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung erstreckt sich auf alle aktiven Arbeitnehmer desjenigen Betriebes (vgl. § 5 Abs. 1 BetrVG), für den die Vereinbarung abgeschlossen wurde (vgl. allg. dazu Waltermann, NZA 1996, 357, 363). Sie gilt nicht für die in § 5 Abs. 2 BetrVG als Nichtarbeitnehmer bezeichneten Personen und nicht für leitende Angestellte, soweit diese nicht ausnahmsweise wie etwa bei Rauchverboten sachlogisch mitbetroffen sein müssen ("Annexkompetenz").
Rz. 1521
Ruheständler sind nach der herrschenden Meinung ebenfalls nicht von der Vereinbarung betroffen (umfassend Ahrendt, FS 100 Jahre Betriebsverfassungsrecht, S. 1). Dies begründet die herrschende Meinung daraus, dass die Ruheständler weder aktiv noch passiv wahlberechtigt sind und es dem Betriebsrat insoweit an der Legitimation zum Abschluss für diese verbindlichen Regelungen fehlt. Jedenfalls soweit die Vereinbarung eine (ausdrückliche oder konkludente) Jeweiligkeitsklausel enthält, also eine besondere Art des Widerrufsvorbehaltes, der dazu dient, jeweils eine einheitliche Ordnung für aktive Arbeitnehmer und Ruheständler aufrechtzuerhalten, kann die Geltung der Vereinbarung aber auch auf diese erstreckt werden (ausdrücklich BAG v. 28.7.1998 – 3 AZR 100/98, juris).
Rz. 1522
Hinweis
In der neueren Rspr. hat das BAG die Zulässigkeit der Erstreckung auf Ruheständler ausdrücklich offengelassen und aufgeführt, es könne dahinstehen, ob an der im Schrifttum zunehmend kritisierten Auffassung der Unzulässigkeit der Einbeziehung der Ruheständler festzuhalten sei. Jedenfalls ermögliche das Ablösungsprinzip nicht jeden Eingriff. So dürfe höherrangiges Recht, etwa der Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 BetrVG), nicht verletzt werden. Jedenfalls dann, wenn in Regelungen Aktive und Ruheständler nach der Betriebsvereinbarung gleichgestellt werden sollten, könnten begünstigte Arbeitnehmer nach ihrem Ausscheiden nicht damit rechnen, besser als die Aktiven behandelt zu werden; sie könnten aber auch darauf vertrauen, nicht schlechter gestellt zu werden (zuletzt BAG v. 13.10.2020 – 3 AZR 410/19, juris: ausdrücklich offengelassen; da aber bei einer auf Gesamtzusage oder betrieblichen Übung beruhenden Versorgungszusage die Begünstigten ohnehin von einer Abänderbarkeit durch neue kollektive Regelung ausgehen müssten, könne der Arbeitgeber die Änderung, sollte die Betriebsvereinbarung Betriebsrentner nicht umfassen, einseitig entsprechend den für die aktiven Arbeitnehmer geänderten Regeln bewirken; BAG v. 30.1.2019 – 5 AZR 442/17, juris; BAG v. 12.12.2006 – 3 AZR 476/05, juris, für verbilligten Strombezug; BAG v. 10.2.2009 – 3 AZR 653/07, juris, für Beihilfeleistungen; BAG v. 19.2.2008 – 3 AZR 61/06, juris, für Personalrabatt; anders BAG v. 14.12.2010 – 3 AZR 799/08, juris, für Personalrabatte als Teil der betrieblichen Altersversorgung; zum Ganzen Fitting, § 77 BetrVG Rn 37 ff.; GK/Kreutz, § 77 Rn 199 ff.).
b) Räumlicher Geltungsbereich
Rz. 1523
Räumlich gilt die Betriebsvereinbarung für den Betrieb, dessen Betriebsrat sie abgeschlossen hat. Eine Gesamtbetriebsvereinbarung gilt für alle Betriebe des Unternehmens, nach der Gesetzesänderung im BetrVG 2001 auch für Betriebe ohne Betriebsrat, eine Konzernbetriebsvereinbarung für die im Inland gelegenen Betriebe der betroffenen Konzernunternehmen.
c) Zeitlicher Geltungsbereich
Rz. 1524
Der zeitliche Geltungsbereich der Vereinbarung richtet sich nach der Festlegung durch die Betriebspartner. Grds. beginnt der zeitliche Geltungsbereich mit dem Tag des Abschlusses der Betriebsvereinbarung. Die Vereinbarung kann ausnahmsweise sogar rückwirkende Kraft haben und auch für die Arbeitnehmer belastende Regelungen entfalten, wenn die Arbeitnehmer mit solchen Regelungen rechnen mussten (BAG v. 19.9.1995 – 1 AZR 208/95, juris, für die rückwirkenden Anrechnungen von Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen).
Rz. 1525
Die Möglichkeit einer Rückwirkung normativer Regelungen ist durch das Vertrauensschutz- und das Verhältnismäßigkeitsprinzip beschränkt. Eine echte Rückwirkung liegt dabei vor, wenn eine Rechtsnorm nachträglich in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift; sie ist verfassungsrechtlich grds. unzulässig. Unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Sie ist verfassungsrechtlich grds. zulässig. Grenzen können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben. Dies ist der Fall, wenn die vom Normgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Bestandsinteresses der Betroffenen nicht geeignet oder nicht erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen die Änderungsgründe überwiegen (BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, juris). Rechtlich ungesicherte, bloß tatsächliche Erwartungshaltungen sind aber nicht schutzbedürftig (umfassend BAG v. 23.1.2008 – 1 AZR 988/06, juris).