Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
a) Konflikt mit anderen Betriebsvereinbarungen
Rz. 1545
Kollidieren mehrere Betriebsvereinbarungen, so gelten die allgemeinen Regeln. Eine spätere Vereinbarung löst grds. die ältere ab, wobei eine spätere Betriebsvereinbarung für die Zukunft auch für Arbeitnehmer ungünstigere Bestimmungen enthalten kann (Zeitkollisionsregel). Bereits entstandene Ansprüche der Arbeitnehmer können allerdings nicht ohne Weiteres beseitigt werden. Insoweit gelten die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit (BAG v. 15.12.2020 – 1 AZR 499/18, juris); nötig ist aber, dass ein solches Vertrauen entstehen konnte, was insb. bei Betriebsvereinbarungen über Altersversorgungsleistungen der Fall ist. Eine Konkurrenz von Einzel- und Gesamtbetriebsvereinbarungen im eigentlichen Sinn kann nicht entstehen, da immer nur ein Organ für den Abschluss zuständig sein kann, die zum selben Gegenstand mit dem anderen Organ abgeschlossene Vereinbarung unwirksam ist (§§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 BetrVG).
b) Konflikt mit Einzelarbeitsverträgen und betrieblichen Einheitsregelungen
Rz. 1546
Bei einem Konflikt zwischen einer Regelung durch Betriebsvereinbarung und einem Arbeitsvertrag gilt – obwohl dies gesetzlich nicht verankert ist – das Günstigkeitsprinzip (vgl. hierzu BAG v. 22.10.2015 – 8 AZR 168/14, juris; Blomeyer, NZA 1996, 337; GK/Kreutz, § 77 Rn 260 ff. auch zur dogmatischen Begründung dieses Prinzips). Die für den Arbeitnehmer ungünstigen Absprachen werden verdrängt, während günstigere Absprachen bestehen bleiben (BAG v. 19.7.2016 – 3 AZR 134/15, juris, auch zur Verdrängung der individualvertraglichen nicht günstigeren Versorgungszusage durch eine Betriebsvereinbarung). Dieses Prinzip gilt grds. im Verhältnis zu jeder vertraglichen Absprache – aber natürlich nur, soweit diese nicht einen Vorbehalt abweichender Regelungen enthält (sog. "Betriebsvereinbarungsoffenheit"; eine solche "Offenheit" kann aber auch für eine Neuregelung durch andere vertragliche Einheitsregelungen oder Gesamtzusagen ausdrücklich oder konkludent vereinbart sein. Das Problem wird häufig unter dem Stichwort "ablösende Betriebsvereinbarung" behandelt, vgl. hierzu Rdn 1550 ff.). Im Einzelnen ist vieles unklar (umfassend Linsenmaier, RdA 2008, 1; Raab, ZfA 2022, 4; Fitting, § 77 Rn 198 ff.; GK/Kreutz, § 77 Rn 282 ff.; Richardi/Picker, § 77 Rn 155 ff. und Rn 188 ff.; DKW/Berg, § 77 Rn 33 ff.).
Rz. 1547
Durch eine Betriebsvereinbarung kann eine bisherige, vertraglich nicht garantierte Handhabung geändert werden, und zwar auch zum Nachteil eines einzelnen Arbeitnehmers. Gilt etwa seit 20 Jahren ein Arbeitszeitbeginn um 7.00 Uhr, kann die Betriebsvereinbarung den Beginn auch 8.00 Uhr festlegen, auch wenn dies für manche Arbeitnehmer – etwa wegen ungünstiger Zugverbindungen – sehr unschön ist. Grds. besteht hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit das Direktionsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO (durch jahrelange Handhabung ist ein Vertrauen der Arbeitnehmer, die Arbeitszeit werde sich auch künftig nicht ändern, nicht ohne Weiteres entstanden). Das, was der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer anweisen könnte, kann auch durch Betriebsvereinbarung geändert werden. Fraglich ist allenfalls, ob sich der Arbeitnehmer dann auf fehlendes "billiges Ermessen" berufen kann – was bei Regelung durch eine Betriebsvereinbarung nicht vorgesehen ist. In Extremfällen – etwa wenn der Arbeitnehmer die durch die Betriebsvereinbarung festgelegte Nachtschicht aus gesundheitlichen Gründen nicht leisten kann – könnte die Betriebsvereinbarung unwirksam sein; oder der Arbeitnehmer könnte gegen den Arbeitgeber Anspruch aus der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB auf Verhandlung einer Sonderregelung haben. Einzelheiten hierzu sind nicht geklärt (vgl. hierzu etwa Kaiser, in: FS 100 Jahre Betriebsverfassungsrecht, S. 259 ff.; Kreutz, ebenda, S. 383 ff.; Waltermann, ebenda, 765 ff.).
Rz. 1548
Derartige Nachteile für den einzelnen Arbeitnehmer entstehen auch durch die Einführung von Kurzarbeit – immerhin kommt es zu durch das Kurzarbeitergeld nicht vollständig ausgeglichenen Entgeltkürzungen. Soweit nicht – was bisher kaum der Fall war – im Arbeits- oder im anwendbaren Tarifvertrag vereinbart ist, dass der Arbeitgeber einseitig Kurzarbeit anordnen kann, besteht für die Kürzung des Volumens der geschuldeten Arbeitszeit, vom dem auch die Entgeltzahlungsplicht abhängt, kein Direktionsrecht. Also müssen Arbeitsverträge einvernehmlich geändert werden. Die Verkürzung kann auch durch Betriebsvereinbarung bewirkt werden. Allerdings muss sich dann die Kürzung für jeden betroffenen Arbeitnehmer aus der Norm ergeben. Es müssen sich also Beginn und Dauer der Kurzarbeit, Menge der ausfallenden Arbeitszeit, Lage und Verteilung der Arbeitszeit und Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer aus dieser Betriebsvereinbarung entnehmen lassen (so ausdrücklich BAG v. 18.11.2015 – 5 AZR 291/14, juris). Ob dies wirklich für Lage und Verteilung des durch die Betriebsvereinbarung festgelegten Stundenvolumens gilt, erscheint als zweifelhaft – insoweit geht es nicht um eine Überlagerung oder Abänderung arbeitsvertraglicher Abmachungen, sondern ...