Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 1235
Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung eines Arbeitnehmers verlangen, wenn dieser durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltenen Grundsätze, insb. durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört hat (§ 104 S. 1 BetrVG). § 104 BetrVG verlangt im Unterschied zum Zustimmungsverweigerungsgrund des Betriebsrates nach § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG nicht nur die begründete Prognose einer künftigen Betriebsstörung, sondern deren tatsächliches und wiederholtes – also mindestens zweimaliges – Vorliegen in der Vergangenheit. Zudem genügt nicht schon jede beliebige Störung, sondern nur die wiederholte "ernstliche" Störung des Betriebsfriedens (BAG v. 16.11.2004 – 1 ABR 48/03, juris). Allein diese Voraussetzungen sind im Verfahren nach § 104 BetrVG zu prüfen (BAG v. 28.3.2017 – 2 AZR 551/16, juris).
Rz. 1236
Gesetzwidriges Verhalten ist dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer den Willen zur Missachtung der gesetzlichen Ordnung bekundet und sein Verhalten nicht mit ihr im Einklang steht. Hieraus muss sich allerdings zusätzlich eine Gefährdung des Betriebsfriedens ergeben können, ein Verstoß gegen die StVO genügt daher z.B. nicht.
Rz. 1237
Auch wiederholte grobe Verstöße gegen die sich aus § 75 BetrVG ergebenden betrieblichen Grundrechte anderer Arbeitnehmer kann die Entfernung oder Versetzung des störenden Arbeitnehmers zur Folge haben. Grob ist ein Verstoß nur dann, wenn eine klare und eindeutige Verletzung gegeben ist. Dies kann z.B. bejaht werden bei Ausübung von Psychoterror, sexueller Belästigung (zu beachten ist hierbei auch das AGG), Hetze gegen Ausländer, Aussiedler und Asylbewerber oder Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen (vgl. Fitting, § 104 BetrVG Rn 5 ff.; DKW/Bachner/Deinert, § 104 Rn 2 ff.; KR/Rinck, § 104 BetrVG Rn 12 ff.). Erforderlich ist hierbei nach herrschender Meinung, dass der Verstoß gegen die Grundsätze des § 75 BetrVG schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig, erfolgt ist (Richardi/Thüsing, § 104 Rn 8 f.).
Rz. 1238
Als Folge aus dem Verhalten des Arbeitnehmers muss sich eine wiederholte ernstliche Störung des Betriebsfriedens ergeben haben. Dies setzt eine mindestens zweimal erfolgte inakzeptable Handlung des Arbeitnehmers und das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs mit der Störung des Betriebsfriedens voraus. Die Störung muss ernstlich sein, also objektiv ernst zu nehmen, von einer gewissen Dauer und von nachhaltiger betrieblicher Wirkung für eine größere Zahl von Arbeitnehmern. Dies ist der Fall, wenn die physische oder psychische Gesundheit der Belegschaft gestört ist; ernstlich ist die Störung, wenn sie noch andauert oder eine Wiederholung unmittelbar bevorsteht (LAG Berlin-Brandenburg v. 28.7.2016 – 10 TaBV 367/16, juris: abgelehnt für Arbeitszeitmanipulationen eines Vorarbeiters, der hierdurch Kunden nicht erbrachte Leistungen abgerechnet haben soll).
Rz. 1239
Die Rechte nach § 104 BetrVG beziehen sich nur auf Arbeitnehmer, nicht aber auf Geschäftsführer (LAG Hamm v. 2.8.2016 – 7 TaBV 11/16, juris) und leitende Angestellte (KR/Rinck, § 104 BetrVG Rn 4). Bedarf die Kündigung der vorherigen Zustimmung einer Behörde – wie etwa bei schwerbehinderten Menschen –, kann der Betriebsrat nur verlangen, dass der Arbeitgeber das Verfahren auf Einholung der Zustimmung betreibt. Der Betriebsrat kann die Entfernung betriebsstörender leitender Angestellter auch dann nicht verlangen, wenn der Arbeitnehmer erst im Laufe des Verfahrens nach § 104 BetrVG zum Prokuristen bestellt wird und erst hierdurch als leitender Angestellter zu qualifizieren ist (LAG Nürnberg v. 22.1.2002 – 6 TaBV 13/01, juris).