Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 535
Über die Freistellung entscheidet gem. § 38 Abs. 2 BetrVG das Betriebsratsgremium in geheimer Wahl. Vor der Wahl hat eine Beratung mit dem Arbeitgeber stattzufinden, der die Gelegenheit erhalten soll, etwaige Bedenken gegen die Freistellung bestimmter Betriebsratsmitglieder geltend zu machen. Die Beratung hat mit dem gesamten Betriebsratsgremium zu erfolgen, nicht nur mit einzelnen Betriebsratsmitgliedern (BAG v. 29.4.1992 – 7 ABR 74/91, juris). Die Freistellung setzt die Einverständniserklärung des freizustellenden Mitgliedes mit seiner Freistellung voraus.
Rz. 536
Bei einem Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die Person des freizustellenden Betriebsratsmitgliedes entscheidet nach § 38 Abs. 2 S. 5 BetrVG die Einigungsstelle. Der Betriebsrat bestimmt – nach Beratung mit dem Arbeitgeber – zunächst durch Wahl, welche Betriebsratsmitglieder freigestellt werden sollen. Die Freistellung selbst, nämlich die Befreiung von der Arbeitsleistung, geschieht durch den Arbeitgeber (BAG v. 23.5.2018 – 7 ABR 14/17, juris; Fitting, § 38 BetrVG Rn 57). Aus diesem Grund ist ein Antrag des Betriebsrats, den Arbeitgeber zu verpflichten, eine weitere Freistellung zu gewähren, unzulässig, zumal der Arbeitgeber ohne namentliche Nennung nicht erkennen kann, welche Handlung er vorzunehmen hat; das Rechtsschutzziel bei Streit über die Freistellung kann aber mit einem Feststellungsantrag erreicht werden (BAG v. 15.12.2011 – 7 ABR 65/10, juris). Der Betriebsrat hat dem Arbeitgeber die Namen der von ihm gewählten freizustellenden Betriebsratsmitglieder bekannt zu geben. Der Arbeitgeber kann innerhalb von 2 Wochen nach Bekanntgabe die Einigungsstelle anrufen, wenn er eine Freistellung für sachlich nicht vertretbar hält; besteht für den Betrieb – wie meist – keine ständige Einigungsstelle, dann genügt der Eingang des Antrages auf Bestellung unter Nennung eines Vorschlages für den Vorsitzenden beim Betriebsratsvorsitzenden zur Wahrung der Frist.
Rz. 537
Der Umfang der Freistellungen ist gesetzlich vorgegeben und kann nicht durch den Spruch einer Einigungsstelle erweitert werden. Eine anderweitige Regelung der Freistellung kann allerdings durch Tarifvertrag oder freiwillige Betriebsvereinbarung erfolgen (§ 38 Abs. 1 S. 5 BetrVG); durch formlose Regelungsabrede dagegen dürfte dies im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut nicht möglich sein (a.A. LAG Hamm v. 19.8.2009 – 10 Sa 295/09, juris; LAG Köln v. 7.10.2011 – 4 TaBV 52/11, juris). Die Absenkung der Zahl der Regelfreistellungen kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn hierdurch die Freistellung eines Bewerbers der Minderheitenliste verhindert werden soll (so eingängig LAG Baden-Württemberg v. 14.12.2016 – 4 TaBV 10/16, juris: Reduzierung von fünf auf einen Freigestellten).
Rz. 538
Ob eine Freistellung sachlich nicht vertretbar ist, kann sich nur auf die Auswahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder beziehen (BAG v. 26.7.1989 – 7 ABR 64/88, juris; BAG v. 26.6.1996 – 7 ABR 48/95, juris). Hält die Einigungsstelle die Freistellung eines bestimmten Betriebsratsmitgliedes wegen entgegenstehender dringlicher betrieblicher Belange tatsächlich für nicht vertretbar, so hat sie selbst unter Beachtung des Minderheitenschutzes ein anderes Betriebsratsmitglied für die Freistellung festzulegen. Sie muss dieses Mitglied also i.d.R. aus derjenigen Vorschlagsliste entnehmen, aus der das für den Arbeitgeber unentbehrliche Betriebsratsmitglied stammt.
Rz. 539
Will der Betriebsrat die zusätzliche Freistellung eines weiteren Betriebsratsmitgliedes über die Staffel des § 38 BetrVG hinaus erreichen, muss er darlegen, dass nach Art und Umfang des Betriebes die zusätzliche Freistellung zur ordnungsgemäßen Durchführung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben erforderlich ist. Der Regelbedarf ist durch die Freistellungen nach § 38 BetrVG abgedeckt. Die vom Gesetzgeber festgelegte Staffel für Freistellungen schließt übliche Verhinderungen durch Urlaub, Krankheit oder sonstige Abwesenheiten mit ein (BAG v. 9.7.1997 – 7 ABR 18/96, juris). Der Betriebsrat kann allerdings, etwa wenn das freigestellte Betriebsratsmitglied über das übliche Maß hinaus überwiegend für Aufgaben des Gesamtbetriebsrates tätig ist, diesen Aufwand von Fall zu Fall durch vorübergehende Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG ausgleichen. Verlangt er eine weitere ständige Freistellung i.S.d. § 38 BetrVG, muss er dafür einen Anfall derart umfangreicher ungewöhnlicher Aufgaben deutlich machen, dass die Möglichkeit zur Aufgabenerbringung durch vorübergehende Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG nicht ausreicht (BAG v. 12.2.1997 – 7 ABR 40/96, juris).
Rz. 540
Hinweis
Die zusätzliche Freistellung muss für die gesamte restliche Wahlperiode erforderlich sein, ohne dass der Betriebsrat auch nur zeitweise auf die Ausschöpfung sonstiger personeller Möglichkeiten verwiesen werden kann (BAG v. 26.7.1989 – 7 ABR 64/88, juris). Unter ähnlichen Voraussetzungen ist die Freistellung bzw. teilweise Freistellung eines Betriebsratsmitgliedes auch in Betriebe...