Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 45
Nach § 4 Abs. 1 S. 2 BetrVG können Arbeitnehmer eines Betriebsteiles, in dem kein eigener Betriebsrat besteht, mit Stimmenmehrheit formlos beschließen, an der Wahl des Betriebsrates im Hauptbetrieb teilzunehmen. Dieses Recht ist ausgeschlossen, wenn eine wirksame anderweitige Zuordnung nach § 3 BetrVG, also i.d.R. durch Tarifvertrag, besteht. Die Abstimmung kann von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern des betreffenden Betriebsteiles, von einer dort vertretenen Gewerkschaft (sie ist nach zutreffender h.M. vertreten, wenn sie mindestens ein Mitglied in diesem Betriebsteil hat) oder vom Betriebsrat des Hauptbetriebes veranlasst werden. Diese – aber auch der Betriebsrat des Hauptbetriebes, die Gewerkschaft oder andere wahlberechtigte Arbeitnehmer – können die Durchführung der Abstimmung organisieren. Die Abstimmung kann formlos erfolgen, Geheimhaltung ist nicht nötig; denkbar ist also schriftliche, auf einer entsprechenden Betriebsversammlung durch Handheben durchgeführte, elektronische oder im Umlaufverfahren durchgeführte Abstimmung (h.M.; a.A. z.B. GK/Maschmann, § 4 Rn 39: Versammlung notwendig).
Rz. 46
Hinweis
Nach Beschluss des LAG Schleswig-Holstein (17.12.2013 – 1 TaBV 35/12, juris) kann die Abstimmung formlos erfolgen. Sie dürfe sich jedoch nicht über einen längeren Zeitraum als vier Wochen hinziehen, da sonst nicht gewährleistet sei, dass zu irgendeinem Zeitpunkt eine Mehrheit der Arbeitnehmer des Betriebsteils für den Anschluss sei. Wird die Abstimmung durch den Betriebsrat des Hauptbetriebs durchgeführt, bedarf dies eines wirksamen Beschlusses dieses Hauptbetriebsrats, dass die Abstimmung abgehalten werden soll, anderenfalls ist die Betriebsratswahl anfechtbar. Schließlich weist das LAG zutreffend darauf hin, dass die Abstimmung auch dann durchgeführt werden kann, wenn bisher – im zugrundeliegenden Fall fälschlich – davon ausgegangen worden ist, dass der Betriebsteil ohnehin zum Hauptbetrieb gehöre. Wird die formlose Abstimmung nur von einem Mitarbeiter initiiert, soll dies unschädlich sein, wenn sich die anderen Mitarbeiter die Initiative zu eigen machen, weil sie am formlosen Abstimmungsprozess anlässlich des wöchentlichen Frühstücks teilnehmen (LAG Düsseldorf v. 13.1.2016 – 12 TaBV 67/14, juris, im Folgenden allerdings zweifelhaft: der Umstand, dass ein Arbeitnehmer von der Abstimmung nichts gewusst habe, sei unschädlich, weil sich dessen Stimme im Hinblick auf die absolute Mehrheit der Zustimmenden nicht ausgewirkt habe. Dies verkennt, dass dieser Arbeitnehmer die anderen mit seinen Argumenten beeinflussen hätte können.
Rz. 47
Nach dem Gesetzeswortlaut (§ 4 Abs. 1 S. 2 BetrVG einerseits, § 3 Abs. 3 S. 2 andererseits) kommt es auf Wahlberechtigung für die Abstimmungsberechtigung nicht an. Es muss die absolute Mehrheit der Arbeitnehmer des betreffenden Betriebsteiles für die Anschließung an den Hauptbetrieb stimmen (ganz h.M., vgl. etwa Richardi/Maschmann, § 4 Rn 38 f.; DKW/Trümner, § 4 Rn 118 ff.; GK/Kraft/Franzen, § 4 Rn 20 ff.; a.A. LAG Düsseldorf v. 16.10.2008 – 11 TaBV 105/08: keine absolute Mehrheit erforderlich; offengelassen jetzt von BAG v. 24.3.2021 – 7 ABR 16/20, juris). Der Beschluss ist dem Betriebsrat des Hauptbetriebes spätestens 10 Wochen vor Ablauf von dessen Amtszeit mitzuteilen. Ist die Mitteilung rechtzeitig erfolgt, wird der Wahlvorstand, falls ein Wahlausschreiben schon erlassen ist, dieses zurückziehen, die Wahl stoppen und ein neues Wahlausschreiben, das der Änderung der Betriebsratsgröße, der Zahl der Stützunterschriften, der Zahl der Wahlberechtigten und des Geschlechts in der Minderheit und der Bereitstellung von Wahllokalen Rechnung trägt, erlassen müssen. Die Zuordnung zum Hauptbetrieb gilt auch für weitere künftige Wahlen (BAG v. 24.3.2021 – 7 ABR 16/20 für die vergleichbare Regelung des § 3 Abs. 3 BetrVG); der Zuordnungsbeschluss kann in derselben Form – rechtzeitig – widerrufen werden. Ist die Zuordnung erfolgt, sind die Mitarbeiter des Betriebsteiles für die Betriebsratswahl und ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses wie Arbeitnehmer des Hauptbetriebs zu behandeln. Für die Betriebsratsgröße und die Mitbestimmungsrechte ist die Arbeitnehmerzahl des Betriebsteiles der Arbeitnehmerzahl des Hauptbetriebs hinzuzuzählen.