Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 1501
Weiter darf eine Betriebsvereinbarung auch nicht gegen zwingendes staatliches Recht verstoßen. Dies umfasst nicht nur Gesetze, Verordnungen und andere Vorschriften, sondern auch die durch Richterrecht gestalteten Rechtsgrundsätze. Auch das BetrVG selbst darf in einer Betriebsvereinbarung nicht missachtet werden, und zwar unabhängig davon, ob die Betriebsvereinbarung i.R.d. erzwingbaren Mitbestimmung oder als freiwillige Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden ist (BAG v. 29.10.2002 – 1 AZR 603/01, juris).
Rz. 1502
Aus diesem Grund kann eine Betriebsvereinbarung nicht wirksam vorsehen, dass der Arbeitgeber uneingeschränkt zur einseitigen Festlegung von Arbeitsbedingungen berechtigt sei; die Mitbestimmungsrechte dürfen in ihrer Substanz nicht beeinträchtigt sein (BAG v. 26.4.2005 – 1 AZR 76/04, juris, für die Gewährung von Zulagen). Dies hindert nicht die Einräumung eines einseitigen Direktionsrechts für bestimmt bezeichnete Einzelfälle (Fitting, § 77 Rn 53c; Löwisch/Kaiser/Klump/Dahm, § 87 Rn 17), etwa für kurzfristig notwendige Änderungen des Schichtplans, für die Festlegung eines Durchschnittswertes für das Ende der geschuldeten Arbeitszeit (BAG v. 23.3.1999 – 1 ABR 33/98, juris) oder für die Anordnung von Überstunden, wenn gleichzeitig detaillierte Regelungen zu deren Umfang und Verteilung vorgesehen sind (BAG v. 3.6.2003 – 1 AZR 349/02, juris). Zu beachten sind insb. Die Freiheitsrechte der Arbeitnehmer, darunter das grundrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht (hierzu gleich Rdn 1507 ff.), die Gleichbehandlungsgebote und Diskriminierungsverbote (§ 75 BetrVG; AGG), aber auch das Verbot von Maßregelungen nach § 612a BGB (Fitting, § 77 Rn 54d).
Rz. 1503
Die Betriebspartner haben insbes. Nach § 75 Abs. 1 BetrVG auch beim Inhalt von Betriebsvereinbarungen darauf zu achten, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder sexuellen Identität unterbleibt.
Rz. 1504
Dieser auf Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Sind in einer Betriebsvereinbarung für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Leistungen vorgesehen, verlangt der Gleichheitssatz, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Maßgeblich hierfür ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck, der sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen ersehen lässt. Der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz stellt eine eigene Anspruchsgrundlage dar, die insbesondere auch dann zur Anwendung kommt, wenn der gesetzliche arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz deswegen ausgeschlossen ist, weil der Arbeitgeber im Hinblick auf die Betriebsvereinbarung nur die dort niedergelegten Normen vollzieht und keine eigene Entscheidung trifft (BAG v. 26.4.2016 – 1 AZR 435/14, juris, für eine unzulässig zwischen Fernfahrern und anderen Arbeitnehmern differenzierende Sonderzahlung; BAG v. 20.9.2017 – 10 AZR 610/15, juris, für eine zulässige Differenzierung bei einer Sonderzahlung je nachdem, ob Arbeitnehmer vorher auf Entgeltbestandteile verzichtet haben oder nicht; BAG v. 7.12.2021 – 1 AZR 562/20, juris, über eine mittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer durch eine Abfindungshöchstgrenze in einem Sozialplan, aufgrund derer die Klageverzichtsprämie bei älteren Arbeitnehmern regelmäßig gekappt wird; BAG v. 28.7.2020 – 1 AZR 590/18, juris, über die mittelbare Benachteiligung wegen Behinderung bei Begrenzung von Abfindungen auf den "frühestmöglichen Renteneintritt").
Rz. 1505
Die Betriebsparteien sind ebenso wie der Gesetzgeber an dem grundrechtlich aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Gebot des Vertrauensschutzes gebunden. Führen sie für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer erstmals eine Altersgrenze ein, so gebietet es der rechtsstaatliche Vertrauensschutz, auf die Interessen der bei Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung bereits rentennahen Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen und für diese Übergangsregelungen vorzusehen. Im Bereich des arbeitsvertraglichen Bestandsschutzes ist im Interesse der durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Berufsfreiheit zudem ein Mindestschutz unverzichtbar, weswegen Befristungsregelungen in Betriebsvereinbarungen eines sie rechtfertigenden Sachgrundes bedürfen (BAG v. 21.2.2017 – 1 AZR 282/15, juris, für die durch Betriebsvereinbarung auf den Zeitpunkt des Bezugs von Regelaltersrente festgelegte Altersgrenze).