Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 479
Die Tatsache, dass ein Betriebsratsmitglied während der Sitzungszeit keine Arbeitszeit hat – etwa weil es in Nachtschicht beschäftigt ist oder weil es an diesem Tag laut Dienstplan seinen freien Tag hat –, führt nicht zu einer Verhinderung dieses Mitgliedes (BAG v. 16.1.2008 – 7 ABR 71/06, juris; LAG Hamm v. 4.2.2005 – 13 TaBV 126/04, juris; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 955/11, juris). Vielmehr kann es an der Sitzung teilnehmen und aus diesem Grund die Nachtschicht entsprechend früher verlassen oder an der Sitzung außerhalb seiner Arbeitszeit teilnehmen und zusätzlich Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 BetrVG beanspruchen. Könnte das Betriebsratsmitglied – etwa bei Beschäftigung in Nachtschicht und Teilnahme an in der Tagschicht angesetzten Betriebsratssitzung – seine Ruhezeiten nicht einhalten, entfällt die Arbeitspflicht, soweit erforderlich, an Teilen der Nachtschicht; das Entgelt ist in derartigen Fällen für die ausgefallenen Zeiträume fortzuzahlen (BAG v. 7.6.1989 – 7 AZR 500/88, juris).
Rz. 480
Entgegen früherer Rechtsprechung kann bei Betriebsratstätigkeit außerhalb der eigentlichen persönlichen Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds, die zu einem Anspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG auf Freizeitausgleich führt, nicht diejenige Vergütung verrechnet werden, die das Betriebsratsmitglied erhält, obwohl es wegen der Arbeitszeitbegrenzung auf zehn Stunden oder der einzuhaltenden Ruhezeit von elf Stunden in bestimmten Zeiträumen nicht gearbeitet hat. Der Ausgleichsanspruch soll verhindern, dass Betriebsratsmitglied, die aus betriebsbedingten Gründen ihr Betriebsratstätigkeit nicht während der Arbeitszeit durchführen können, durch einen Verlust persönlicher Freizeit benachteiligt werden (so ausdrücklich jetzt BAG v. 15.5.2019 – 7 AZR 396/17, juris). Das Betriebsratsmitglied erhält den Freizeitausgleichsanspruch daher zusätzlich zur normalen Vergütung.
Rz. 481
Hinweis
Diese Rechtsprechung führt nicht dazu, dass das Betriebsratsmitglied eine höhere Vergütung beanspruchen kann. Der Arbeitgeber kann die Zeiten des Freizeitausgleichs durch Direktionsrecht unter Beachtung der Belange des Betriebsratsmitglieds festlegen. Ist ein solcher Ausgleichszeitraum festgelegt, kann das Betriebsratsmitglied zwar in solchen Zeiten Betriebsratsarbeit verrichten. Es erhält dafür allerdings keinen Vergütungs- und keinen neuen Freizeitausgleichsanspruch, weil die Tätigkeiten dann nicht "aus betriebsbedingten Gründen" außerhalb der eigentlich geschuldeten Einsatzzeit erfolgen.
Rz. 482
Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber über Freistellung und Freizeitausgleich betreffen die Vergütung der Arbeitszeiten als Arbeitnehmer. Solche Streitigkeiten können daher nicht durch den Betriebsrat als Organ im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren geltend gemacht werden. Insoweit fehlt die Antragsbefugnis (BAG v. 12.6.2018 – 9 AZB 9/18, juris). Allerdings kann das einzelne Betriebsratsmitglied solche Fragen mit der Behauptung, es werde nach § 78 BetrVG durch die gewählte Handhabung benachteiligt, auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren klären lassen (BAG v. 22.10.2019 – 9 AZB 19/19, juris).
Rz. 483
Hinweis
Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der Betriebsratsarbeit um Arbeitszeit im Sinne des ArbZG handelt. In jedem Fall ist bei der Frage, ob und wann einem Betriebsratsmitglied die Fortsetzung der Arbeit wegen einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit bevorstehenden Betriebsratssitzung unzumutbar ist, die in § 5 Abs. 1 ArbZG zum Ausdruck kommende Wertung zu berücksichtigen. Daher ist ein Betriebsratsmitglied, das zwischen zwei Nachtschichten an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen hat, berechtigt, die Arbeit in der vorherigen Nachtschicht vor dem Ende der Schicht zu einem Zeitpunkt einzustellen, der eine ununterbrochene Erholungszeit von elf Stunden am Tag ermöglicht, in der weder Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit zu erbringen ist (BAG v. 18.1.2017 – 7 AZR 224/15, juris; BAG v. 15.5.2019 – 7 AZR 396/17, juris). Die Unterscheidung, ob es sich bei der Betriebsratstätigkeit um Arbeitszeit handelt oder nicht, dürfte daher nur noch für die Frage maßgeblich sein, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, von sich aus und in eigener Verantwortung für die Einhaltung der Ruhezeit auch in solchen Fällen zu sorgen. Dies erscheint als zu weitgehender Eingriff in die Betriebsratstätigkeit; der Arbeitgeber verantwortet die Betriebsratstätigkeit nicht, es besteht auch kein Bedarf, ihm insoweit Eingriffsmöglichkeiten einzuräumen.