Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 723
Zu den Amtspflichten des Betriebsrates gehört die Einberufung von Betriebsversammlungen, die als Forum der innerbetrieblichen Aussprache über alle Angelegenheiten des Betriebes und der Belegschaft Bedeutung erlangen. Diese Betriebsversammlungen legt der Betriebsrat durch Beschluss fest; die Aufgabe zählt nicht zu den laufenden Geschäften, die der Betriebsausschuss und in kleineren Betrieben der Betriebsratsvorsitzende alleine bestimmen kann (a.A. Worzalla, FS Ingrid Schmidt S. 669 m.w.N.).
Rz. 724
Viele Betriebsangehörige sind im Schutz einer Gruppe eher bereit, ihre Meinung und ihre Kritik deutlicher als sonst zu artikulieren. Gerade deswegen muss die Betriebsversammlung vom Betriebsrat sorgfältig vorbereitet und mit Umsicht geleitet werden. Regelmäßig nimmt auch der Arbeitgeber an den Betriebsversammlungen teil und kann wichtige Akzente zur allgemeinen Lage des Unternehmens, seiner wirtschaftlichen Situation und zu seiner zukünftigen Entwicklung setzen. Der Arbeitgeber kann die Gelegenheit wahrnehmen, die Belegschaftsversammlung über den Bestand und die Sicherung der Arbeitsplätze zu unterrichten und andere wichtige Themen aus seiner Sicht darzustellen und zur Sprache zu bringen. Der Betriebsrat ist nicht berechtigt, dem Arbeitgeber die Teilnahme zu untersagen, auch nicht für die ersten 30 Minuten der Betriebsversammlung (LAG Hessen v. 27.2.2017 – 16 TaBV 76/16, juris). Abzulehnen ist, dass auch der gekündigte Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist ein Teilnahmerecht haben soll, wenn die Kündigungsschutzklage noch nicht entschieden ist (so aber LAG Mecklenburg-Vorpommern v., 30.1.2017 – 3 TaBVGa 1/17, juris, für die Wahlversammlung zur Einsetzung eines Wahlvorstandes zur Betriebsratswahl).
Rz. 725
Gem. § 46 Abs. 1 BetrVG können an den Betriebsversammlungen sowohl Gewerkschaftsvertreter beratend teilnehmen – aus eigenem Recht, auch gegen den Willen des Betriebsrates – als auch Verbandsvertreter vom Arbeitgeber hinzugezogen werden. Nur in Ausnahmefällen kann der Arbeitgeber einem Gewerkschaftsbeauftragten den Zutritt zum Betrieb aus Anlass der Teilnahme an einer Betriebsversammlung verweigern (LAG Hamm v. 12.9.2008 – 10 TaBV 25/08, juris; LAG Hamm v. 25.1.2008 – 10 TaBV 75/07, juris).
Rz. 726
Der Arbeitgeber ist unabhängig von den Betriebsversammlungen berechtigt, auf von ihm einberufenen Mitarbeiterversammlungen über betriebliche Belange zu informieren. Solche Mitarbeiterversammlungen dürfen jedoch nicht als Gegenveranstaltungen zu Betriebsversammlungen missbraucht werden (BAG v. 27.6.1989 – 1 ABR 28/88, juris). Führt er solche Versammlungen außerhalb der Arbeitszeit von Mitarbeitern durch, besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 BetrVG zumindest dann, wenn der Arbeitgeber unter Berufung auf sein Direktionsrecht die Teilnahme der Arbeitnehmer verlangt (BAG v. 13.3.2001 – 1 ABR 33/00, juris) oder auch erwartet.
Rz. 727
Der Gesamtbetriebsrat ist nicht berechtigt, in betriebsratslosen Betrieben zum Zweck der Bestellung eines Wahlvorstands für die Durchführung von Betriebsratswahlen in derartigen Betrieben oder Betriebsteilen Informationsveranstaltungen durchzuführen, die den Charakter von Belegschaftsversammlungen haben (BAG v. 16.11.2011 – 7 ABR 28/10, juris).
I. Zeitliche Lage und Durchführung der ordentlichen Betriebsversammlung
Rz. 728
Der Betriebsrat ist gem. § 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG verpflichtet, einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen. Es haben daher nach der gesetzlichen Regelung grds. in jedem Jahr regelmäßig mindestens vier Betriebsversammlungen stattzufinden. Häufig wird dies mangels ausreichender Themen nicht einzuhalten sein. Dies wird zumindest so lange unproblematisch, auf keinen Fall aber eine Pflichtverletzung darstellen, solange die Arbeitnehmer die Einberufung einer solchen Betriebsversammlung nicht verlangen und solange wenigstens zwei Versammlungen jährlich stattfinden (vgl. § 43 Abs. 1 S. 2 BetrVG: Auch nach dem Gesetz können zwei Betriebsversammlungen durch Abteilungsversammlungen ersetzt werden). Anderes kann gelten, wenn der Betriebsrat absichtlich über lange Zeit hinweg keine Betriebsversammlung durchführt in der Absicht, die Gewerkschaften am Zutritt zum Betrieb zu hindern (LAG Baden-Württemberg v. 13.3.2014 – 6 TaBV 5/13, juris: Auflösung des Betriebsrats).
Rz. 729
Die während der Pandemie im Zeitraum 1.3.2020 bis 30.6.2021 durch § 129 BetrVG eingeräumte Möglichkeit, Betriebsversammlungen auch virtuell durchführen zu können, ist im BetriebsrätemodernisierungsG vom 14.6.2021 nicht aufgegriffen worden. Die durch Gesetz vom 16.9.2022 eingefügte Änderung des § 129 BetrVG, nach der Betriebsversammlungen wieder mittels audiovisueller Einrichtungen durch geführt werden konnten, läuft mit Ablauf des 7.4.2023 aus. Wenn der Betriebsrat dennoch im Einverständnis mit dem Arbeitgeber eine solche virtuelle Konferenz durchführt, zählt dies nicht als Betriebsversammlung im Sinne der §§ 42 ff. BetrVG. Soweit hierbei aber keine Geheimnisse oder personenbezogene Daten besprochen werden, ste...