Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 52
Auch die Regelung nach Nr. 3 – Schaffung anderer Vertretungsstrukturen – kann sich nur auf andere Organisationsebenen oder -einheiten beziehen, nicht aber gesetzliche Wahlgrundsätze beseitigen. Aus diesem Grund dürfte eine Regelung gesetzlich nicht vorgesehenen Minderheitenschutzes (z.B. eine tarifliche Festlegung, dass aus jedem der am Betrieb beteiligten Krankenhäuser mindestens ein Betriebsratsmitglied kommen müsse) unwirksam sein. Auch kann durch Tarifvertrag keine vom Betriebsverfassungsrecht abweichende Zuständigkeit für die Ausübung der Beteiligungsrechte bestimmt werden, können den gewählten Betriebsräten keine betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse entzogen werden (BAG v. 18.11.2014 – 1 ABR 21/13, juris).
Rz. 53
Die in § 3 Abs. 1 BetrVG für alle abweichenden Vertretungsstrukturen aufgestellte Einschränkung, dass die anderen Strukturen die Bildung von Betriebsräten erleichtern bzw. einer sachgerechten Wahrnehmung von Aufgaben des Betriebsrats bzw. einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dienen müssen, ist nicht von der Einschätzungsprärogative der Tarifparteien gedeckt, sondern kann und muss im Zweifelsfall von den Arbeitsgerichten überprüft werden (BAG v. 24.4.2013 – 7 ABR 71/11, juris).
Rz. 54
Es muss festgestellt werden, wo die mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen im Betrieb getroffen werden. Weitere Gesichtspunkte sind bei der Prüfung der Sachdienlichkeit zu berücksichtigen, etwa die Ortsnähe der Betriebsvertretung. Kann der Zweck der Erleichterung der Bildung von Betriebsräten bereits durch die Zusammenfassung von Betriebsräten erreicht werden, kann es für die Bildung eines unternehmensweiten Betriebsrats an Sachgerechtigkeit fehlen. Allerdings steht den Betriebsparteien ein Einschätzungsspielraum für das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung einer solchen Regelung zu (BAG v. 24.4.2013, a.a.O.) zu. Die "Dienlichkeit" zur sachgerechten Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen ist jedenfalls bereits dann zu bejahen, wenn durch die Zusammenfassung bisher betriebsratslose Belegschaftsteile bei der Bildung eines Betriebsrats einbezogen oder Schwellenwerte für die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten überschritten werden (LAG Schleswig-Holstein v. 9.7.2008 – 3 TaBV 4/08, juris).
Rz. 55
Die in § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG eröffnete Möglichkeit, durch Tarifvertrag vom Gesetz abweichende Arbeitnehmervertretungsstrukturen zu bestimmen, setzt zudem einen Zusammenhang zwischen vornehmlich organisatorischen oder kooperativen Rahmenbedingungen auf Arbeitgeberseite und der wirksamen sowie zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer voraus. Fehlt es hieran – hier: Zusammenfassung jeweils der Betriebsstätten zweier Unternehmen in den Regionen Nord, Mitte und West –, ist der Tarifvertrag unwirksam und die Betriebsratswahl anfechtbar (BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 70/11, juris; ausführlich auch ArbG Düsseldorf v. 19.8.2016 – 4 BVGa 11/16, juris, für die tarifvertragliche Zusammenfassung von Fraktionen und Landtagsabgeordneten). Insgesamt sind die Möglichkeiten der Tarifparteien aus diesem Grund erheblich eingeschränkt (weitere Einzelheiten vgl. etwa K. Schmidt, FS 100 Jahre BetrVG, S. 693 ff.; Schweibert, ebenda, S. 731 ff.).
Rz. 56
Hinweis
Aus diesem Grund war ein Zuordnungstarifvertrag, der für zwei Betriebsstätten verschiedene Betriebsräte vorsah, ohne dass dies einen Bezug zu organisatorischen, kooperativen oder sonstigen Rahmenbedingungen hatte, unwirksam mit der Folge, dass die Anfechtung der aufgrund dieses Tarifvertrags durchgeführten Wahlen begründet war (LAG Hessen v. 2.9.2019 – 16 TaBV 33/19, juris).
Rz. 57
Ein Zuordnungstarifvertrag ist zudem unwirksam, wenn er unbestimmt ist. Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine Karte mit Linien, aus der sich die Zuordnung ergeben soll, nicht konstitutiv als Norm in den Tarifvertrag einbezogen worden ist, wenn die Eintragungen in der Karte – etwa wegen zu grober Linienführung – keine eindeutigen Zuordnungen erlauben oder wenn nicht klar ist, ob sich im Zweifelsfall, die Karte, eine definierte Unternehmensstruktur oder eine Liste mit aufgeführten Filialbetrieben durchsetzen soll (vgl. BAG v. 21.9.2011 – 7 ABR 54/10, juris). Es erscheint aus dem genannten Grund als sachgerecht, nicht nur statisch einen bestimmten Zeitpunkt festzuschreiben, sondern bereits die Möglichkeit späterer Veränderungen der Organisationsstrukturen – etwa: Bindung der Filialen an die Dispositionsstrukturen des Arbeitgebers – zu berücksichtigen (BAG v. 21.9.2011, a.a.O.; LAG Köln v. 15.2.2013 – 4 TaBV 74/12, juris).
Rz. 58
Streitig ist, ob Zuordnungstarifverträge nach ihrer Kündigung Nachwirkung entfalten – dies dürfte abzulehnen sein – und ob eine Kündigung des Tarifvertrages erst zum Ende der Amtszeit des gewählten Betriebsrates wirkt oder zur sofortigen Beendigung wegen Wegfalles der Organisationseinheit und zu einem Übergangsmandat des Betriebsrates nach § 21a ...