Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
1. Ablehnung eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs
Rz. 1390
Die Frage, ob ein allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrates besteht oder nicht, war erbitterter Streitpunkt in Rspr. und Literatur. Das BAG hat in seiner Entscheidung v. 22.2.1983 (1 ABR 27/81, juris) einen allgemeinen Anspruch des Betriebsrates auf Unterlassung beteiligungspflichtiger Maßnahmen verneint und in § 23 Abs. 3 BetrVG eine abschließende Regelung der Ansprüche des Betriebsrates gegen eine Verletzung seiner Beteiligungsrechte gesehen. Danach konnte der Betriebsrat Unterlassung nur verlangen,
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wenn der Arbeitgeber grob gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen hatte, |
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wobei die zu unterlassende Maßnahme des Arbeitgebers in der Zukunft liegen musste und |
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eine einstweilige Verfügung nicht möglich war (weil es im "Erkenntnisverfahren" nach § 23 Abs. 3 BetrVG um künftige Verstöße ging und weil außerdem eine Sanktion eine "rechtskräftige" Entscheidung des Gerichtes voraussetzt) und |
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das Zwangsmittel auf 20.000,00 DM (heute 10.000,00 EUR) beschränkt war. |
Rz. 1391
Das BAG hat dies damit begründet, § 23 Abs. 3 BetrVG
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regle Unterlassungsansprüche des Betriebsrates wegen Verletzung seiner Beteiligungsrechte abschließend; |
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sei materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage und nicht nur verfahrensrechtliche Norm; |
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wäre mit seinen Anforderungen an einen groben Verstoß weitgehend überflüssig, wenn der Betriebsrat Unterlassung auch schon bei einfachen ("normalen", also nicht groben) Mitbestimmungsverletzungen verlangen könnte; |
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außerdem wäre eine allgemeine Unterlassungsverpflichtung nach § 890 ZPO mit Ordnungsgeld bis zu 500.000,00 DM sanktioniert, während § 23 Abs. 3 S. 5 BetrVG dieses auf 20.000,00 DM beschränke, |
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das Gesetz räume dem Betriebsrat neben ausdrücklichen Betätigungs- und Unterrichtungsrechten (z.B. § 20 Abs. 3 BetrVG Kosten der Betriebsratswahl, § 40 BetrVG Kosten der Betriebsratstätigkeit, § 74 Abs. 2 BetrVG Unterlassung der Beeinträchtigung der Friedenspflicht u.a., § 80 Abs. 2 BetrVG Unterrichtung und Herausgabe von Unterlagen) bestimmte Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte ein, d.h. diese Gesetzesbestimmungen gäben eine bestimmte Berechtigung, mit der eine entsprechende Verpflichtung des Arbeitgebers korrespondiere; die Berechtigung zur Mitbestimmung allein sei aber nicht gleichzusetzen mit dem Anspruch, vom Arbeitgeber ein bestimmtes Verhalten verlangen zu können; |
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außerdem zeigten bestimmte Vorschriften wie § 101, § 102 Abs. 1 S. 3, § 91, § 98 Abs. 5, dass dem Gesetzgeber die Notwendigkeit zur Sanktionierung von Verletzungen der Mitbestimmungsrechte nicht unbekannt sei; |
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schließlich zeige die systematische Stellung des § 23 Abs. 3 korrespondierend zur Amtspflichtverletzung von Betriebsratsmitgliedern, dass die Regelung abschließend sei; |
Rz. 1392
Diese Entscheidung des 1. Senats des BAG ist sowohl im Schrifttum als auch in der Rspr. der Instanzgerichte auf Kritik gestoßen, weil sie zu einer unzulässigen "Amputation" der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates führe: Der Arbeitgeber werde bei dieser Rspr. nicht gehindert, einseitig beteiligungspflichtige Maßnahmen durchzuführen und vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. dazu etwa Trittin, BB 1984, 1169; Derleder, AuR 1983, 298).
Rz. 1393
Das BAG hat selbst gesehen, dass mitbestimmungswidrige Maßnahmen des Arbeitgebers allein durch den Anspruch nach § 23 Abs. 3 nicht ausreichend verhindert werden können. Weil der Anspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG einen groben Verstoß des Arbeitgebers voraussetzt, ist ein Anspruch des Betriebsrates, der auf diese Norm gestützt wird, abzuweisen, wenn nur ein einfacher Verstoß vorliegt, was immer dann der Fall ist, wenn der Arbeitgeber eine vertretbare Meinung in einer ungeklärten Rechtslage vertritt. Ein Antrag nach § 23 Abs. 3 BetrVG ist also von vornherein nicht geeignet, eine solche Rechtsfrage der Klärung zuzuführen.
2. Konkreter und abstrakter Feststellungsantrag
Rz. 1394
Um auch in solchen Fällen eines nichtgroben Verstoßes die Klärung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates zu ermöglichen, hat das BAG deshalb den sog. konkreten Feststellungsantrag zugelassen (vgl. BAG v. 13.6.1989 – 1 ABR 4/88, juris). Da auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren § 256 ZPO entsprechend oder zumindest als Grundnorm jeder Verfahrensordnung anzuwenden ist, kann ein solcher Antrag nur zulässig sein, wenn es um das Bestehen eines Rechtsverhältnisses geht. Das BAG hat ein solches Rechtsverhältnis in dem gesetzlichen Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gesehen, welches zwar immer besteht, wenn ein Betriebsrat gebildet ist; der Feststellungsantrag kann aber Grenzen und Reichweite dieses Rechtsverhältnisses und der Mitbestimmungsrechte klären. Der konkrete Feststellungsantrag ist allerdings nur dann zulässig, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers noch andauert oder konkrete Auswirkungen zeigt (etwa wenn der Arbeitgeber Zulagen mitbestimmungswidrig gekürzt hat; durch die nachträgliche Ausübung des Mitbestimmungsrechts könnten Zulagen anderweitig verteilt werden; anders für Aktienoptionen BAG v. 23.10.2018 – 1 ABR 18/1...