Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
Rz. 1435
Das BAG billigt dem Betriebsrat bei Verstößen gegen sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG einen allgemeinen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu. Dieser ergibt sich aus der dem BetrVG abgeleiteten Nebenpflicht, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung des konkreten Mitbestimmungsrechtes entgegensteht. Das gilt nicht nur für Verletzungen des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 (Arbeitszeitlage bzw. Überstunden und Kurzarbeit), sondern etwa auch im Bereich des § 87 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 8 BetrVG (so LAG Berlin-Brandenburg v. 12.7.2016 – 7 TaBVGa 520/16, juris, zur Aufhebung des Verbots, das Essen am Arbeitsplatz zu unterlassen; LAG Nürnberg v. 20.12.2018 – 5 TaBV 61/17, juris, für die Anweisung, sich beim Verlassen des Betriebsgebäudes persönlich beim Dienstvorgesetzten abzumelden; LAG Nürnberg v. 18.6.2020 – 1 TaBV 33/19, juris, zur Verwendung von Deutsch als Betriebssprache; LAG Düsseldorf v. 12.12.2018 – 12 TaBV 37/18, juris, für die Frage, wann eine Terrassentür geöffnet ist, die mit Tischen und Stühlen versehen und damit Teil der Personalkantine, also einer Sozialeinrichtung ist).
Rz. 1436
Daraus folgt aber noch nicht, dass jede Verletzung von Rechten des Betriebsrates ohne Weiteres zu einem Unterlassungsanspruch führt. Vielmehr kommt es auf die einzelnen Mitbestimmungstatbestände, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung und die Art der Rechtsverletzung an. § 87 BetrVG regelt die erzwingbare Mitbestimmung. In diesem Bereich darf der Arbeitgeber nur mit Zustimmung des Betriebsrates Maßnahmen durchführen. Verstößt er dagegen, entsteht eine betriebsverfassungswidrige Situation. Daraus ist auch ohne ausdrückliche gesetzliche Normierung die Unterlassung als Nebenleistungsanspruch abzuleiten, weil dem Gesetzgeber im Zweifel nicht unterstellt werden kann, dass er rechtswidriges Verhalten sanktionslos hinnehmen will (BAG v. 23.7.1996 – 1 ABR 13/96, juris).
Rz. 1437
Anderes gilt für andere Maßnahmen des Arbeitgebers, bei denen die Mitbestimmung des Betriebsrats weniger intensiv ausgebildet ist. So besteht zwar ein allgemeiner Unterlassungsanspruch nach § 98 Abs. 5 BetrVG für den Fall, dass eine Einigung über die Bestellung oder Abberufung der mit der betrieblichen Berufsbildung beauftragten Person nicht zustande kommt; die hierdurch getroffene Wertentscheidung des Gesetzgebers schließt die Annahme eines Unterlassungsanspruchs hinsichtlich der Mitbestimmung bei der Durchführung einer Bildungsmaßnahme nach § 98 Abs. 3 BetrVG aus (LAG Nürnberg v. 25.4.2017 – 6 TaBV 53/16, juris). Fraglich ist, ob der Betriebsrat im Hinblick auf das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG verlangen kann, es zu unterlassen, neue Kassenarbeitsplätze einzurichten oder zu verändern, ohne dass zuvor eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt worden ist (offengelassen von LAG Schleswig-Holstein v. 20.9.2016 – 2 TaBVGa 2/16, juris). Auch § 75 Abs. 1 BetrVG begründet keinen allgemeinen Unterlassungsanspruch (LAG Berlin-Brandenburg v. 20.8.2015 – 21 TaBV 336/15, juris, bei Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten; LAG Nürnberg v. 31.8.2005 – 6 TaBV 41/05, juris), ebenso nicht § 75 Abs. 2 BetrVG (BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 32/01, juris).
Rz. 1438
Hinsichtlich der Zwangsvollstreckung sind die Rechtsfolgen entsprechend der für grobe Verstöße geltenden Regelungen (§ 23 Abs. 3 S. 2 bis 5 BetrVG) beschränkt. Die Zwangsvollstreckung kann nicht weitergehen als dann, wenn ein grober Verstoß begangen wäre. Ordnungs- und Zwangsgeld sind daher auf einen Betrag von höchstens 10.000,00 EUR pro Zuwiderhandlung beschränkt (BAG v. 29.4.2004 – 1 ABR 30/02, juris). Die Festsetzung von Ordnungshaft scheidet auch insoweit aus (BAG v. 5.10.2010 – 1 ABR 71/09, juris). Der Schuldner eines vollstreckungsfähigen Titels kann nach § 85 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG i.V.m. § 767 Abs. 1 ZPO die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung in einem neuerlichen Beschlussverfahren durch Vollstreckungsabwehrantrag geltend machen (BAG v. 18.3.2008 – 1 ABR 3/07, juris). Er kann eine etwa durch gerichtlichen Vergleich vereinbarte Unterlassungsverpflichtung kündigen und in einem weiteren Beschlussverfahren Vollstreckungsabwehrantrag stellen (LAG Köln v. 4.9.2013 – 5 TaBV 5/13, juris).
Rz. 1439
Hinweis
Entgegen bisheriger weitverbreiteter Praxis kommt auch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe für den Arbeitgeber für den Fall, dass er erneut gegen bestimmte Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats verstoße, nicht in Betracht. Dies gilt für Zahlungen an den Betriebsrat selbst schon deswegen, weil dieser nicht vermögensfähig ist. Die Vereinbarung von Zahlungen an Dritte widerspricht zwingenden betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen zur Gewährleistung der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung und ist daher unwirksam (BAG v. 19.1.2010 – 1 ABR 62/08, juris).
1. Checkliste: Tatbestandliche Voraussetzungen des allgemeinen Unterlassungsanspruchs
Rz. 1440
▪ |
Verletzung des erzwingbaren Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates gem. § 87 BetrVG (bei anderen Mitbestimmungsrechten muss gesondert geprüft werden, ob der Unterlassungsanspruch gegebe... |