Rz. 1229

Der Gesetzgeber hat – außerhalb von Kündigungen (vgl. § 102 Abs. 1 S. 3 und § 113 BetrVG) – nicht geregelt, welche Konsequenzen sich aus der Nichtbeachtung des Mitbestimmungsrechtes für die Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergeben. Das BAG vertritt hierbei die "Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung". Sie bedeutet, dass einseitige Weisungen des Arbeitgebers ggü. dem Arbeitnehmer nur rechtswirksam sind, wenn auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates eingehalten sind. Dies gilt jedoch nicht umfassend, sondern muss für jedes Mitbestimmungsrecht gesondert geprüft werden.

 

Rz. 1230

Die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bezieht sich nach der Rspr. des 2. Senats des BAG grds. nicht auf Arbeitsverträge. Das bedeutet, dass der Arbeitsvertrag bei einer Verletzung des Mitbestimmungsrechtes nach § 99 BetrVG wirksam bleibt. Dasselbe gilt für den Ausspruch einer Änderungskündigung, die sich gleichzeitig als Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG darstellt. Diese Änderungskündigung wird durch eine fehlende Beteiligung des Betriebsrates nach § 99 BetrVG nicht unwirksam mit der Folge, dass der Änderungsschutzklage ohne Weiteres stattgegeben würde. Allerdings darf der Arbeitnehmer auf dem qua Änderungsangebot angebotenen Arbeitsplatz bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 99 BetrVG zunächst nicht eingesetzt werden. Auch arbeitsvertragliche Abmachungen bleiben trotz nicht vorliegender Zustimmung des Betriebsrats unberührt und wirksam – auch sie dürfen möglicherweise aber erst durchgeführt werden, wenn die nötige Mitbestimmung nach § 99 oder § 87 BetrVG durchgeführt worden ist.

 

Rz. 1231

Die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung erfasst weder Ein- noch Umgruppierungen. Da es hierbei lediglich um Rechtsanwendung geht, nicht um eine Gestaltungsmaßnahme, kann auch die individualrechtliche Wirksamkeit einer Umgruppierung – die richtige Eingruppierung ergibt sich aus Vergütungsordnung einerseits und Tätigkeit bzw. Ausbildung des Arbeitnehmers andererseits – nicht davon abhängen, dass die Zustimmung des Betriebsrates hierzu erteilt oder ersetzt wird.

 

Rz. 1232

Die Theorie erfasst Versetzungen. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz nicht wirksam zuweisen kann, wenn diese Maßnahme eine Versetzung nach § 95 Abs. 3 BetrVG darstellt und die Zustimmung des Betriebsrates hierzu nicht vorliegt oder ersetzt ist. Beruft sich der Arbeitnehmer auf die fehlende Betriebsratsbeteiligung oder einen Widerspruch des Betriebsrates, braucht er die Arbeit nicht aufzunehmen. Der Arbeitgeber gerät ab dem Zeitpunkt des Arbeitsangebots (oder im Falle dessen Überflüssigkeit) in Annahmeverzug (BAG v. 7.11.2002 – 2 AZR 650/00, juris). Dies gilt zumindest im Fall des Widerspruches des Betriebsrates – Schutzzweck des § 99 BetrVG ist, wie etwa § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG zeigt, auch das Interesse der Belegschaft – auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Versetzung selbst wünscht und trotzdem nicht eingesetzt wird.

 

Rz. 1233

Dagegen dient das Mitbestimmungsrecht bei Einstellung nicht den Interessen des eingestellten Arbeitnehmers, sondern allein denjenigen der Belegschaft. Hat sich der Betriebsrat daher nicht gegen eine Einstellung gewandt – hier: Wiedereinstellung nach Kündigung –, dann kann der Arbeitnehmer nicht die Beschäftigung mit der Folge des Bestehens eines Annahmeverzugsanspruches verweigern mit der Begründung, die Zustimmung des Betriebsrates fehle (BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, juris).

 

Rz. 1234

Führt der Arbeitgeber das Verfahren nach § 99 BetrVG nachträglich durch oder leitet er es nachträglich ordnungsgemäß ein und erteilt der Betriebsrat seine Zustimmung nunmehr, dann kann sich der Arbeitnehmer ab dem Zeitpunkt der Zustimmungserteilung, Zustimmungsfiktion oder Zustimmungsersetzung nicht mehr auf die ursprüngliche Unwirksamkeit wegen der zeitweisen Verletzung der Mitbestimmungsrechte berufen oder gar Rückgängigmachung der Versetzung verlangen (LAG Nürnberg v. 13.1.2009 – 6 Sa 712/07, juris; a.A. wohl LAG Bremen v. 20.7.2005 – 2 TaBV 4/05, juris; LAG Hamm v. 15.7.2008 – 14 Sa 1957/07, juris).

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