Joachim Vetter, Dr. iur. Martin Nebeling
1. Allgemeines
Rz. 710
Der Betriebsrat kann sich sachkundiger Personen bedienen, um die Wahrnehmung seiner Aufgaben bei schwierigen Angelegenheiten zu erleichtern, z.B. bei betriebswirtschaftlichen Analysen des Geschäftsberichtes, betriebswirtschaftlichen Beurteilungen/Auswertungen bei Betriebsänderungen, bei Fragen der elektronischen Datenverarbeitung, bei arbeitswissenschaftlichen Fragen, bei Fragen der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) sowie bei Fragen des Gesundheitsschutzes und der Arbeitssicherheit, soweit nicht die zuständigen Behörden weiterhelfen können; diese hat der Arbeitgeber, soweit dies erforderlich und betriebliche Notwendigkeiten nicht entgegenstehen, zur Verfügung zu stellen (§ 80 Abs. 2 S. 4 BetrVG).
Rz. 711
Die Hinzuziehung eines Sachverständigen ist nach § 80 Abs. 3 BetrVG an zwei Voraussetzungen geknüpft:
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Es müssen zunächst die betriebsinternen Informations- und Auskunfts-/Erklärungsmöglichkeiten genutzt werden. Bei Anwendung neuer EDV-Systeme und Programme muss i.d.R. die Herstellerfirma die notwendigen Informationen in verständlicher Form dem Betriebsrat vermitteln. Erst wenn dies geschehen ist, kann die Einschaltung eines Sachverständigen erforderlich sein. |
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Nach dem BetriebsrätemodernisierungsG v. 14.6.2021 – Einfügung von § 80 Abs. 3 S. 2 und S. 3 – entfällt die Prüfung der Erforderlichkeit, wenn der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz beurteilen muss und wenn sich Betriebsrat und Arbeitgeber auf einen ständigen Sachverständigen in Angelegenheiten Künstlicher Intelligenz einigen. |
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Der Betriebsrat darf aber nicht von sich aus einen Sachverständigen beauftragen, sondern muss darüber eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber schließen. |
Rz. 712
Eine Ausnahmevorschrift stellt § 111 S. 2 BetrVG dar. Danach kann der Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern auch ohne eine vorherige Vereinbarung mit dem Arbeitgeber zur Unterstützung bei Betriebsänderungen – Abschluss eines Interessenausgleichs, fraglich für den Sozialplan (verneint von LAG Hessen v. 17.3.2011 – 9 TaBV 59/10, juris) – einen Sachverständigen, auch einen Rechtsanwalt, als Berater hinzuziehen. Dies gilt allerdings nicht mehr nach Einsetzung einer Einigungsstelle zum Versuch des Interessenausgleichs (LAG München v. 24.6.2010 – 2 TaBV 121/09, juris).
Rz. 713
Eine dem § 80 Abs. 3 BetrVG vergleichbare Vorschrift für die Schwerbehindertenvertretung fehlt. Daher kann diese keine Erstattung von Sachverständigenkosten verlangen (LAG Hessen v. 25.8.2020 – 16 TaBVGa 92/20, juris).
Rz. 714
Hinweis
Bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz haftet der Betriebserwerber nur für Masseverbindlichkeiten, nicht für Insolvenzforderungen. Hat der Betriebsrat vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Rechtsanwalt als Berater oder Sachverständigen nach § 111 S. 2 BetrVG oder nach § 80 Abs. 3 BetrVG zugezogen und dauerte dessen Tätigkeit bis nach der Insolvenzeröffnung an, sind dessen Honoraransprüche für die bis zur Insolvenzeröffnung erbrachten Beratungsleistungen keine Masseverbindlichkeiten, sondern Insolvenzforderungen (BAG v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, juris; anders möglicherweise bei einem erst nach Insolvenzeröffnung fällig werdenden Gesamthonorar, vgl. BAG v. 25.11.2021 – 6 ABR 94/19, juris, für Urlaubsabgeltungsansprüche).
Rz. 715
Dabei setzt die Hinzuziehung eines externen Sachverständigen nach § 80 Abs. 3 S. 1 BetrVG zur Beratung des Betriebsrates etwa anlässlich der Einführung oder Änderung EDV-gestützter technischer Einrichtungen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG voraus, dass dem Betriebsrat die erforderliche Sachkunde fehlt und er sich seine fehlende Sachkunde nicht durch sachkundige Betriebs- oder Unternehmensangehörige vermitteln lassen kann (BAG v. 26.2.1992 – 7 ABR 51/90, juris). Dies gilt auch für die vom Betriebsrat veranlasste Prüfung der Formulararbeitsverträge auf Vereinbarkeit mit den Vorschriften des NachwG und des Rechts der AGB (BAG v. 16.11.2005 – 7 ABR 12/05, juris). Dagegen muss sich der Betriebsrat nicht anstelle der Beauftragung eines Sachverständigen auf entsprechende Schulungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG verweisen lassen (BAG v. 25.6.2014 – 7 ABR 70/12, juris).
2. Inhalt der Vereinbarung
Rz. 716
Die erforderliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat hat sowohl das Thema, zu dessen Klärung der Sachverständige hinzugezogen werden soll, als auch die Person des Sachverständigen als auch die voraussichtlichen Kosten zu enthalten (BAG v. 19.4.1989 – 7 ABR 87/87). Eine Beschlussfassung des Betriebsrates, einen Anwalt als Sachverständigen mit der Beratung des Wahlvorstandes für die Betriebsratswahl zu beauftragen, deckt die Durchführung einer Schulung des Wahlvorstandes durch diesen Rechtsanwalt hierbei nicht (LAG Hessen v. 6.12.2007 – 9 TaBV 153/07, juris). Nur in extremen Ausnahmefällen kann die Berufung des Arbeitgebers auf die fehlende vorherige Verständigung über die Hinzuziehung eines Sachverständigen im Einzelfall als Ve...