a) Verletzter
Rz. 20
Wer selbst nicht unerheblich verletzt ist, darf sich zur sofortigen ärztlichen Behandlung entfernen (OLG Köln VRS 63, 349), eine massiv blutende Wunde reicht hierfür aus (BGH zfs 2014, 718).
Rz. 21
Kleinere Verletzungen, wie z.B. eine kleine Platzwunde an der Oberlippe, rechtfertigen dies nicht (BayObLG bei Rüth, DAR 1981, 244).
Rz. 22
Achtung
Selbst im Falle eines zur Nachtzeit verursachten Personenschadens muss der Unfallverursacher regelmäßig unmittelbar nach Ablieferung des Verletzten nachträglich Feststellungen ermöglichen. Die Rechtsprechung zu Sachschäden ist nämlich hier nicht anwendbar, da die Unverzüglichkeitsfrist dann, wenn Personenschäden verursacht wurden, regelmäßig kürzer zu bemessen ist (LG Zweibrücken zfs 1998, 72).
b) Andere medizinische Gründe
Rz. 23
Ein Unfallbeteiligter, der wegen operationsbedingter Inkontinenz oder sonstigem Stuhl- oder Harndrang zur Toilette muss, kann sich berechtigt oder entschuldigt von der Unfallstelle entfernen (LG Saarbrücken VRS 96, 270; OLG Düsseldorf DAR 2008, 156; OLG Koblenz zfs 2008, 229). Es genügt dann, dass anschließend ein zuverlässiger Dritter in seinem Auftrag die notwendigen Feststellungen ermöglicht (LG Zweibrücken zfs 1998, 483), bzw. er selbst nachträglich unverzüglich die notwendigen Feststellungen ermöglicht.
c) Unfallschock bzw. Gehirnerschütterung
Rz. 24
Die in Unfallfluchtfällen am häufigsten gebrauchte Entschuldigung ist die Behauptung, einen Unfallschock bzw. eine Gehirnerschütterung erlitten zu haben.
Rz. 25
Nun mag eine solche Behauptung bei leichteren Unfällen zwar die Bereitschaft der Staatsanwaltschaft fördern, das Verfahren nach § 153a StPO einzustellen. Wenn es "hart auf hart" geht, ist das in solchen Fällen übliche Attest des Hausarztes indessen nichts wert. Fast immer schließen nämlich vom Gericht hinzugezogene Sachverständige einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Schock oder eine entsprechende Verletzung aus. Nur bei extrem schweren Unfällen sind Ausnahmen denkbar.
Rz. 26
Was bleibt, sind die nach Unfällen üblichen, rechtlich jedoch unbeachtlichen Gemütszustände, wie Kopflosigkeit, Verwirrung, Furcht etc. (BGHSt 37, 263; KG VRS 67, 259).
Rz. 27
Tipp
Das LG Leipzig (DAR 1997, 79) vertritt eine hiervon abweichende Meinung, indem es einen die Voraussetzungen des § 20 StGB erfüllenden und bis zu drei Tage andauernden Zustand nach einem schweren Unfall für denkbar hält.
d) Schlechte Witterungsbedingungen
Rz. 28
Erhebliche gesundheitliche Eigengefährdungen, wie z.B. durchnässte Kleidung in einer Winternacht, können den Verstoß gegen die Wartepflicht entschuldigen (BayObLG VRS 60, 112).
e) Wichtige Termine
Rz. 29
Selbst dringende geschäftliche Angelegenheiten können nicht entschuldigen (BGHSt 16, 139), schon gar nicht die Wahrnehmung eines Routinegerichtstermins durch einen Rechtsanwalt (OLG Hamm VRS 54, 433).
Rz. 30
Geschäftliche Interessen können nur im Ausnahmefall entschuldigen. Ein solcher Ausnahmefall kann z.B. in der Wahrnehmung eines wichtigen Prüfungstermins liegen (OLG Köln VRS 54, 350).
f) Bedrohung
Rz. 31
Entschuldigt ist das Entfernen, wenn der Unfallverursacher bedroht oder gar misshandelt wird (OLG Hamburg NJW 1960, 1482; BGH VRS 30, 281).
g) Hilfe
Rz. 32
Entschuldigt ist, wer die Unfallstelle verlässt, um erforderliche Hilfe herbeizuholen, z.B. um den verkehrsgefährdenden Unfallwagen abzuschleppen (BayObLG bei Rüth, DAR 1982, 249).
h) Suche nach dem Geschädigten
Rz. 33
Die aktive Suche nach dem Geschädigten und das damit verbundene Entfernen vom Unfallort können mehr als das normalerweise verlangte bloße Zuwarten sein (OLG Koblenz NZV 1996, 325).