I. Sinn und Zweck der Insolvenzanfechtung
Rz. 12
In der Wirtschaftspraxis kommt es nicht selten vor, dass noch kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die spätere Insolvenzmasse dadurch geschmälert wird, dass ihr größere Vermögensgegenstände des Schuldners durch rechtsgeschäftliche oder faktische Handlungen des Schuldners oder durch Vollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger gegen den späteren Schuldner entzogen werden. Konkret geht es häufig um unentgeltliche Verschiebungen von Werten vom Schuldner auf dessen Ehepartner, Verwandte oder Freunde. Denkbar sind auch Notverkäufe von Waren weit unter Wert, um besonders drängende Einzelgläubiger zu befriedigen, oder auch das Gewähren von Sicherheiten für einzelne Gläubiger, die später zu einem Aus- und Absonderungsrecht der Vermögensgegenstände durch die Sicherungsnehmer aus der Masse führen.
Rz. 13
Die Insolvenzordnung sieht in den §§ 129 ff. InsO zum erweiterten Schutz der Insolvenzgläubiger eine Anfechtung bestimmter Maßnahmen durch den Insolvenzverwalter vor. Die Anfechtung nach den Regelungen der Insolvenzordnung darf dabei nicht mit einer Anfechtung gem. §§ 119 ff. BGB verwechselt werden. Zweck der Insolvenzanfechtung ist es, im Interesse der Insolvenzgläubiger die Verminderung der zu deren Befriedigung dienenden Masse auszugleichen und die Benachteiligung der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger zugunsten Einzelner rückgängig zu machen.
II. Die Anfechtungstatbestände
Rz. 14
Schenkungsanfechtung (§ 134 InsO)
Anfechtbar ist gem. § 134 Abs. 1 InsO eine unentgeltliche Leistung des Schuldners, es sei denn, sie ist früher als vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden. Nicht anfechtbar ist eine Leistung, wenn sie sich auf ein gebräuchliches Gelegenheitsgeschenk geringen Werts bezieht (§ 134 Abs. 2 InsO).
Rz. 15
Absichtsanfechtung (§ 133 InsO)
Gemäß § 133 Abs. 1 InsO sind solche Rechtshandlungen anfechtbar, die der Schuldner in der seinem Geschäftspartner bekannten Absicht (Beweislast: Insolvenzverwalter) vorgenommen hat, die übrigen Gläubiger zu benachteiligen. Wenn der Geschäftspartner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Rechtshandlung die übrigen Gläubiger benachteiligte, wird die Kenntnis des Geschäftspartners vermutet (§ 133 Abs. 1 S. 2 InsO; Beweiserleichterung zugunsten des Insolvenzverwalters).
Gem. § 133 Abs. 2 InsO ist ein vom Schuldner mit einer ihm nahestehenden Person (§ 138 InsO) geschlossener entgeltlicher Vertrag anfechtbar, wenn dadurch die übrigen Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist aber ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn der nahestehenden Person ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht bekannt war (§ 133 Abs. 2 S. 2 InsO).
Rz. 16
Anfechtung bei kongruenter und inkongruenter Deckung (§§ 130, 131 InsO)
Die Anfechtung gem. § 130 Abs. 1 InsO betrifft den Fall der sog. kongruenten Deckung. Kongruent ist die Deckung dann, wenn der Gläubiger die Sicherung oder Befriedigung einer Forderung erhält, auf die er einen Anspruch hat. Anfechtbar ist eine solche Rechtshandlung aber nur dann, wenn der Insolvenzgläubiger zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gekannt hat (Beweislast: Insolvenzverwalter).
Die Anfechtung gem. § 131 Abs. 1 InsO regelt den Fall der sog. inkongruenten Deckung. Inkongruent ist die Deckung, wenn der Gläubiger die bewirkte Leistung (Sicherung oder Befriedigung einer Forderung) durch den Schuldner im Zeitpunkt der Leistung nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung ohne Weiteres etwa dann anfechtbar, wenn sie im letzten Monat vor oder nach dem Antrag vorgenommen worden ist. Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis von der Krise wie auch die Krise selbst werden unwiderleglich vermutet.
Rz. 17
Der Vollständigkeit halber wird noch auf den Anfechtungsgrund der unmittelbar nachteiligen Rechtshandlungen gem. § 132 InsO verwiesen. Dabei handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der hinter die Anfechtungsgründe der §§ 130, 131 InsO zurücktritt und in der Praxis wenig Bedeutung hat.