I. Ermessensfehlerfreie Entscheidung, ob abgeschleppt wird
Rz. 2
Die Beurteilung der Frage, ob zum Abschleppen eingeschritten wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Diese hat die im Einzelfall maßgeblichen Gegebenheiten und die in Betracht kommenden Handlungsalternativen in den Blick zu nehmen. Insofern gelten die allgemeinen Grundsätze (kein Ermessensnichtgebrauch, kein Ermessensfehlgebrauch, keine Ermessensüberschreitung, vgl. § 40 VwVfG, § 114 S. 1 VwGO). Mit Blick auf hochwertige Schutzgüter kann eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten sein. Dies ist z.B. der Fall, wenn durch ein Fahrzeug die Feuerwehranfahrtzonen und Rettungswege versperrt werden. Dies dürfte aber auch in dem Fall angenommen werden, in dem ein Kfz nach Eintritt eines Hochwassers auf der Hochwasserumgehungsstraße stand und dort den störungsfreien Verkehrsfluss unmöglich machte.
Rz. 3
Obwohl Fragen des Verschuldens im Polizei- und Ordnungsrecht keine Rolle spielen, kann die Behörde aber auch – ermessensfehlerfrei – zum Ergebnis kommen, dass sie nicht abschleppt. So liegt es beispielsweise in dem Fall, in dem jemand sein Fahrzeug zur dringend notwendigen raschen ärztlichen Versorgung eines schwer Verletzten in verbotswidriger Weise vor der Arztpraxis abstellt und wenn der Behörde diese Umstände bekannt sind.
II. Abschleppkosten in atypischen Fällen: Ermessen trotz "gebundener Verwaltung"
Rz. 4
Das Ermessen der Behörde hinsichtlich der Frage, ob und von wem Kosten erhoben werden sollen, verdichtet sich im Regelfall auf Kostenerhebung beim Störer. Mit Blick auf die strenge verschuldensunabhängige Haftung des Polizei- und Ordnungsrechts kann auch dann, wenn die im Rahmen der Ersatzvornahme einschlägige Rechtsvorschrift eindeutig formuliert, dass "für die Ausführung der Ersatzvornahme Kosten erhobenwerden", wenn also durch die Norm gerade kein Ermessen eingeräumt ist, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, die Entscheidung, ob ein Störer zum Abschleppkostenersatz herangezogen wird, im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde liegen. Dies wird aber nur dann anzunehmen sein, wenn es sich um außergewöhnliche und atypische Ereignisse handelt, die ausschließlich in der Risikosphäre der Allgemeinheit wurzeln. Das Fahrzeug muss dabei auch ohne Verstoß gegen straßen- und straßenverkehrsrechtliche Vorschriften in die Abschleppsituation geraten sein und die durch das Fahrzeug verursachte Störung darf auch nicht vorhersehbar gewesen sein.
III. Anspruch auf Einschreiten zum Abschleppen
Rz. 5
Nur unter Beachtung der Grundsätze des subjektiv-öffentlichen Rechts steht dem Einzelnen gegen die Behörde ein Anspruch auf Einschreiten zum Abschleppen zu. Dies kann insbesondere im Zusammenhang mit einem zum Schutz privater Rechte (vgl. unten § 47 Rdn 1 ff., 4) geltend gemachten Anspruch auf Abschleppen bedeutsam werden. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn er durch ein anderes Fahrzeug in seiner Bewegungsfreiheit gehindert ist.
Rz. 6
Der Einzelne hat insbesondere keinen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch. Ein allgemeiner Anspruch auf das Abschleppen verbotswidrig abgestellter Fahrzeug steht ihm damit nicht zu. Ein Einschreiten kann er nur verlangen, wenn er eine eigene Rechtsbetroffenheit geltend machen kann. Dies kann z.B. bei einem Anspruch auf Abschleppen eines verbotswidrig auf seinem Privatgrundstück abgestellten Fahrzeugs oder bei einem Kfz, das die Zufahrt zum Grundstück unmöglich macht, der Fall sein. Allerdings sind dabei das Subsidiaritätsprinzip und das Selbsthilferecht des Betroffenen beachtlich (zu Einzelheiten dazu siehe § 47 Rdn 2 ff., 6 ff.).