I. Körperverletzung
Rz. 1
Hinweis
Zu Mord oder vorsätzlicher Tötung siehe § 55 Rdn 39 ff., zur Tötung durch Unterlassen siehe § 45 Rdn 1.
Tipp: Besonderes öffentliches Interesse
Ohne Strafantrag oder ohne Erklärung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft ist das Verfahren unzulässig. Die Staatsanwaltschaft kann übrigens ihre Erklärung jederzeit zurücknehmen (BGHSt 19, 377). Der Verteidiger muss deshalb wissen, dass die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren nach der Neufassung nicht mehr den Grundsatz vorsehen, dass bei einer fahrlässigen Körperverletzung das besondere öffentliche Interesse zu bejahen ist. An erster Stelle soll danach das Maß der Pflichtwidrigkeit stehen, nicht der Erfolg. In die gleiche Richtung weist auch die Empfehlung des europäischen Rates, wonach selbst eine fahrlässige Tötung nicht bestraft werden sollte, wenn das Verschulden gering ist.
Rz. 2
Zwar kann eine Prellung oder eine Hautabschürfung eine Körperverletzung darstellen, aber nur dann, wenn sie über eine nur geringfügige Einwirkung auf die körperliche Integrität hinausgeht. Hat ein Unfallgeschädigter nur Prellungen erlitten, liegt eine Körperverletzung i.S.d. § 229 StGB ebenso wenig (BayObLG DAR 2002, 38) wie im Fall einer bloßen Hautrötung (OLG Karlsruhe DAR 2005, 350) vor.
Rz. 3
Achtung: Vorsätzliche Körperverletzung
Verletzt jemand einen anderen vorsätzlich mit einem Fahrzeug, ist er wegen gefährlicher Körperverletzung zu verurteilen, denn das Fahrzeug ist ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 StGB (BGH NZV 2007, 481). Voraussetzung ist allerdings, dass die Verletzung unmittelbar durch die Einwirkung auf den Körper entstanden ist (OLG Jena NZV 2008, 366).
II. Fahrlässigkeit und Kausalität
Rz. 4
Der Tatbestand setzt eine Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfalt, die objektive Voraussehbarkeit des Erfolges und des Kausalverlaufes voraus, sowie die Tatsache, dass der Täter trotz seiner entsprechenden persönlichen Fähigkeiten die objektiven Sorgfaltsanforderungen nicht erfüllt hat.
Darüber hinaus muss zwischen Normverletzung und eingetretenem Erfolg ein Rechtswidrigkeitszusammenhang bestehen, d.h. Kausalität im verkehrsrechtlichen Sinne.
Rz. 5
Achtung: Schutzzweck der Norm
Kausalität ist indessen nur erfüllt, wenn sich gerade die durch die Pflichtwidrigkeit des Täters gesetzte Gefahr im eingetretenen Erfolg verwirklicht hat und der Erfolg in den Schutzbereich der verletzten Sorgfaltsnorm fällt. Das ist z.B. beim Befahren eines durch Zeichen 250 StVO gesperrten Flurbereichswegs ebenso wenig automatisch der Fall (BayObLG VRS 1969, 392) wie beim Überschreiten einer wegen eines neuen Fahrbahnbelages angeordneten Geschwindigkeitsüberschreitung (OLG Karlsruhe DAR 2006, 340).
III. Normverletzung
1. StVO und StVZO als Maßstab
Rz. 6
Die im Straßenverkehr zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind weitgehend in der StVO und der StVZO geregelt, so dass einem Verstoß hiergegen bereits indizielle Bedeutung für den Fahrlässigkeitsvorwurf zukommt (OLG Hamm VRS 61, 353; OLG Karlsruhe NZV 1990, 199).
2. Vertrauensgrundsatz
Rz. 7
Eine solche indizielle Bedeutung kommt einer Verletzung der Verpflichtung aus der Generalklausel des § 1 Abs. 2 StVO, die den Verkehrsteilnehmern ein Verhalten abverlangt, das jede Schädigung anderer ausschließt, ausnahmsweise nicht zu. Diese Regel gilt nämlich nur mit Einschränkungen, da sonst der moderne Straßenverkehr gar nicht möglich wäre.
Rz. 8
Die sehr weit gefasste Verhaltensregel des § 1 Abs. 2 StVO wird nämlich durch den sog. "Vertrauensgrundsatz" eingeschränkt. Danach kann ein Verkehrsteilnehmer, der sich selbst verkehrsgerecht verhält, grundsätzlich auf das verkehrsgerechte Verhalten anderer (selbst noch gar nicht sichtbarer) Verkehrsteilnehmer vertrauen (BGHSt 13, 169; BGH NZV 1992, 108).
3. Ausnahmen vom Vertrauensgrundsatz
Rz. 9
Auf das verkehrsgerechte Verhalten von Kindern im Alter bis zu sieben bzw. acht Jahren darf ein Verkehrsteilnehmer dagegen nicht vertrauen (§ 3 Abs. 2a StVO). Mit verkehrswidrigem Verhalten älterer Kinder braucht er dagegen nur dann zu rechnen, wenn besondere Umstände zu außergewöhnlicher Vorsicht mahnen (BGH NJW 1982, 1149; OLG Hamburg NVZ 1990, 71). Auch gegenüber erkennbar hilfsbedürftigen oder älteren Personen kann sich ein Kraftfahrer nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen.
Auf den Vertrauensgrundsatz kann sich schließlich auch derjenige nicht berufen, der erkannt hat, dass der andere Verkehrsteilnehmer sich nicht verkehrsgerecht verhält (BGH NZV 1992, 108).
4. Allgemeine Sorgfaltspflichten
Rz. 10
Zu den Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrers gehört, dass er sich vor Fahrtantritt von dem ordnungsgemäßen Zustand seines Fahrzeuges überzeugen muss (im Einzelnen siehe § 24 Rdn 7 ff.).
Außerdem darf er selbstverständlich nur unter Berücksichtigung seiner evtl. allgemein oder aktuell bestehenden Einschränkungen am Verkehr teilnehmen. Das gilt für Übermüdung oder sonstige Defizite wie Einschränkung des Sehvermögens, wie auch für Krankheiten und zwar auch solche, die sich erst im Laufe der Fahrt auswirken können, wie z.B. Epilepsie (BGH NJW 1995, 795).
Grundsätzlich muss sich ein Kraftfahrer vor Fahrtantritt auf seine Fahrtüchtigkeit hin selbst überprüfen...