I. Fahrlässige Körperverletzung – kein Offizialdelikt
Rz. 16
Die fahrlässige Körperverletzung wird gem. § 230 StGB nur auf Strafantrag hin verfolgt. Das Antragserfordernis entfällt, wenn die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
Rz. 17
Achtung
Im Gegensatz zur früheren Regelung zwingen jetzt (Nr. 243 Abs. 3) die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren in Fällen einer fahrlässigen Körperverletzung die Staatsanwaltschaft nicht mehr, das besondere öffentliche Interesse zu bejahen.
Rz. 18
Die fahrlässige Tötung dagegen wird regelmäßig von Amts wegen verfolgt; einer "Anzeige" der Hinterbliebenen bedarf es nicht.
II. Prozessvoraussetzung
Rz. 19
Der Strafantrag ist Prozessvoraussetzung, also weder Tatbestandsmerkmal noch Bedingung der Strafbarkeit einer fahrlässigen Körperverletzung. Ob der Antrag gestellt ist, wird vom Revisionsgericht ohne Bindung an die Feststellungen des Instanzrichters nachgeprüft (RGSt 65, 150).
1. Ausdrückliche Erklärung
Rz. 20
Ein Strafantrag kann sich – ohne dass er als solcher bezeichnet ist – aus dem im Zusammenhang mit der Erstattung der Anzeige unterzeichneten Protokoll ergeben (BGH bei Tolksdorf, DAR 1996, 177).
2. Gegen bestimmte Personen
Rz. 21
Hat der Verletzte in Verkennung der Lage seinen Antrag gegen einen nicht schuldigen Beteiligten gerichtet, ist die Verfolgung des in Wahrheit Schuldigen zulässig, wenn sich der Antrag nicht ersichtlich nur auf die genannte Person beziehen soll (RGSt 31, 168).
Rz. 22
Tipp: Beschränkung auf einen von mehreren Tätern
Vor allem bei der gleichzeitigen Vertretung von Fahrer und geschädigtem Beifahrer muss der Anwalt sich – unabhängig von den standes- bzw. strafrechtlichen Fragen – vergewissern, dass sich sein für den Beifahrer gestellter Strafantrag nicht gegen den Fahrer auswirken kann.
Rz. 23
Dies wird auf jeden Fall vermieden, wenn der Strafantrag auf einen von mehreren möglichen Tätern bezogen wird, was zulässig ist. In solchen Fällen kann die Staatsanwaltschaft – ohne Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses – nicht von sich aus die Strafverfolgung auf andere Beteiligte ausdehnen.
3. Antragsrecht bei Minderjährigen
Rz. 24
Wird ein Minderjähriger verletzt, steht das Strafantragsrecht alleine seinem gesetzlichen Vertreter zu (BGH NStZ 1981, 479).
Rz. 25
Die Strafantragsfrist läuft ab dem Zeitpunkt, in dem entweder der Vater oder die Mutter Kenntnis von den Umständen erhalten hat (BGHSt 22, 103). Ein von einem Elternteil gestellter Antrag ist aber nur wirksam, wenn der andere Elternteil vor Ablauf der Strafantragsfrist seine Zustimmung hierzu erklärt hat (BGH bei Nehm, DAR 1994, 179).
4. Strafantragsfrist
Rz. 26
Der Strafantrag ist innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der Tat zu stellen. Die Frist ist eine Ausschlussfrist, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann (BGH bei Tolksdorf, DAR 1995, 191).
5. Rücknahme
Rz. 27
Der Strafantrag kann noch in der Hauptverhandlung zurückgenommen werden. Dann entsteht ein Verfahrenshindernis und die Sache muss durch Urteil eingestellt werden, § 260 Abs. 3 StPO (BGH NJW 1969, 950).
III. Besonderes öffentliches Interesse
Rz. 28
Die Staatsanwaltschaft kann allerdings in jedem Verfahrensstadium das besondere öffentliche Interesse bejahen. Dies gilt selbst für die Berufungsinstanz und sogar dann, wenn sie das besondere öffentliche Interesse vorher verneint hatte (OLG Hamburg NStZ 1986, 81; a.A. wohl BGHSt 19, 377). Das ist zwar grundsätzlich zulässig, in solchen Fällen sollte der Verteidiger aber auf Abschnitt 234 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren hinweisen, nach der die Staatsanwaltschaft an ihre Erklärungen grundsätzlich gebunden ist.
Rz. 29
Prozessvoraussetzung ist allein die wirksame Erklärung des Verfolgungsinteresses durch die Staatsanwaltschaft (BayObLG VRS 80, 344). Das Gericht ist nicht befugt, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nachzuprüfen (BGH NJW 1991, 1726).
Rz. 30
Achtung: Ausgehandelte Strafantragsrücknahme
Bei "Vereinbarungen" mit dem Gegner muss der Verteidiger im Auge behalten, dass die Staatsanwaltschaft mit der Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses die Möglichkeit hat, die zwischen Angeklagtem und Nebenkläger ausgehandelte Strafantragsrücknahme jederzeit zu unterlaufen. Sie sollte deshalb in solche "Verhandlungen" eingebunden, zumindest aber um Stellungnahme gebeten werden.