Torsten Bendig, Dr. iur. Matthias Keller
I. Ermittlung des Wohnsitzverstoßes
Rz. 15
Nach dem Unionsrecht und seiner Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten obliegt die Überprüfung des ordentlichen Wohnsitzes zunächst allein dem Ausstellerstaat der EU-Fahrerlaubnis. Die Behörden des Aufenthaltsstaats des Fahrerlaubnisinhabers – etwa die deutschen Straßenverkehrsbehörden – sollen diese Prüfung anerkennen und nicht etwa zu Lasten des Führerscheininhabers ein zweites Mal vornehmen. Tun sie es gleichwohl, können sie in der Regel darauf nicht die Versagung der Anerkennung der EU-Fahrerlaubnis stützen. Dies hat der EuGH in der Rechtssache "Kapper" entschieden.
II. Verstoß folgt aus Führerscheindokument
Rz. 16
Nur wenn sich für die Behörden des Aufenthaltsstaats, der die EU-Fahrerlaubnis grundsätzlich anerkennen soll, schon "aus dem Führerschein selbst" ein Wohnsitzverstoß ableiten lässt, darf darauf die Versagung der Anerkennung gestützt werden. Dies folgt aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH, wie sie beispielsweise in der Rechtssache "Wiedemann" zum Ausdruck kommt. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung in § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 FeV übernommen.
Beispiel: Tschechische EU-Fahrerlaubnis mit deutschem Wohnsitzeintrag
Bei einer Verkehrskontrolle in Deutschland legt der A einen in der Tschechischen Republik ausgestellten Führerschein vor, der in Feld 8 "München" als seinen Wohnort ausweist.
Diesem ausländischen EU-Führerschein kann in Deutschland ohne Weiteres die Anerkennung versagt werden. Schon das Dokument lässt erkennen, dass die Behörden der Tschechischen Republik bei der Ausstellung gegen das im EU-Richtlinienrecht geregelte Wohnsitzprinzip verstoßen haben.
Rz. 17
Für die Nichtanerkennung spielt es im Übrigen keine Rolle, ob der Aufenthaltsstaat, der den Führerschein anerkennen soll, zuvor führerscheinrechtliche Maßnahmen, ergriffen hat. Das hat der EuGH in der Rechtssache "Schäffler" entschieden.
III. Verstoß folgt aus Informationen vom Ausstellerstaat
Rz. 18
Folgt der Wohnsitzverstoß aus "vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen" ist damit ebenfalls ein Tatbestand gegeben, nach dem ausnahmsweise die Anerkennung des EU-Führerscheins versagt werden darf. Den Tatbestand erfüllen Auskünfte aller Behörden des Ausstellerstaates, aber auch beispielsweise die Auskünfte des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts reicht es aus, wenn sich aus den "vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen" Hinweise auf den Wohnsitzverstoß ergeben. In diesem Fall können zur Überzeugungsbildung auch andere Informationen herangezogen werden.
Rz. 19
Hingegen sind allein die Angaben des Führerscheininhabers gegenüber Behörden oder Gerichten des Aufenthaltsstaats selbst dann nicht (!) verwertbar, wenn darin ein Wohnsitzverstoß eingeräumt wird.