Rz. 61
Im Zwischen- und Hauptverfahren erfährt der Verteidiger einen erheblichen Zuwachs an Möglichkeiten, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. So hat er spätestens ab diesem Zeitpunkt ein umfassendes Akteneinsichtsrecht. Darüber hinaus ist er in der Hauptverhandlung bei allen das Verfahren betreffenden Handlungen und Entscheidungen dabei. So ist er häufig im Hauptverfahren erstmals in der Lage, Zeugen zu befragen und diesen Vorhalte zu machen. Eine relativ starke Stellung gibt ihm das Beweisantragsrecht.
Rz. 62
Die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und insbesondere sein Verteidiger haben die Befugnis, durch Stellung von sog. Beweisanträgen über die gerichtlich veranlasste Beweisaufnahme hinaus eine ergänzende Beweisaufnahme zu verlangen. Derartige Beweisanträge können vom Gericht nur unter engen Voraussetzungen (§ 243 Abs. 3–5 StPO) abgelehnt werden. Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte wissen darum, dass nicht zuletzt das Beweisantragsrecht der Verteidigung mit der korrespondierenden Verpflichtung des Gerichts, fast ausnahmslos den Anträgen nachkommen zu müssen, eine gewisse Spannung der am Prozess beteiligten Juristen untereinander in den Sitzungssaal bringt. Das sollte nicht dramatisiert werden, zumal die Interessenlagen auf der Hand liegen. Das Gericht und regelmäßig auch die Staatsanwaltschaft sind an einer zügigen Verfahrensbeendigung interessiert. Insbesondere das Gericht wird bis auf Ausnahmen der Auffassung sein, dass in der vom ihm selbst "organisierten" Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme über alle relevanten Tatsachen ausreichend Beweis erhoben wurde. Sollten in dieser Situation dann seitens der Verteidigung (weitere) Beweisanträge gestellt werden, kann dies vom Gericht als "störend" empfunden werden. Die Verteidigung hat jedoch als einziger Prozessbeteiligter die Aufgabe, einseitig nur für den Beschuldigten sprechende Momente herauszustellen und dessen Interessen prozessual möglichst gut wahrzunehmen. Deswegen wird die Verteidigung auch dem kleinsten Anhaltspunkt, der für den Beschuldigten sprechen kann, große Aufmerksamkeit schenken und die Aufmerksamkeit der anderen Prozessbeteiligten notfalls mittels der Stellung eines Beweisantrags "einfordern", auch wenn dies im Einzelfall als lästig oder schikanös empfunden wird und gelegentlich sicherlich als Verteidigungsstrategie auch ist. Die Verteidigung kann das Beweisantragsrecht dadurch auch mittelbar zugunsten des Beschuldigten einsetzen, da nicht selten bei umfangreicheren Prozessen ein gewisses Entgegenkommen seitens der Gerichte und der Staatsanwaltschaft signalisiert wird, falls die Verteidigung an einer zügigen Hauptverhandlungsdurchführung "mitwirkt". Ein guter Verteidiger zeichnet sich gerade auch durch das Fingerspitzengefühl aus, richtig zu erkennen, inwieweit es im Einzelfall zur Interessenwahrnehmung seines Mandanten erforderlich ist, die Spannung durch Stellung von Beweisanträgen sozusagen erst richtig in den Sitzungssaal zu holen.
Rz. 63
Neben dem Beweisantragsrecht besteht eine Fülle von Möglichkeiten, den Gang der Verhandlung durch Prozessanträge aller Art – Besetzungsrügen, Anträge auf Verfahrensaussetzung, weil sich rechtliche Gesichtspunkte verändert haben oder neue Beweismittel aufgetaucht sind – mitzugestalten.