1. Wahlverteidigung
Rz. 46
Die in der Öffentlichkeit bekannteste klassische Aufgabe eines Rechtsanwalts ist allerdings weiterhin die der Verteidigung des Beschuldigten. Jeder Beschuldigte hat das Recht, gleich bis zu drei Verteidiger zu bestellen, § 137 StPO, wenn er sich das wirtschaftlich leisten kann, was in sog. Wirtschaftsprozessen durchaus vorkommt. Diese sind dann Wahlverteidiger. Die (jeweilige) Bestellung erfolgt durch ein Schreiben zur Akte des Ermittlungsverfahrens, dem eine Verteidigervollmacht des Beschuldigten beigefügt sein muss.
Rz. 47
Muster 4: Verteidigungsanzeige mit Antrag auf Akteneinsicht
Muster: Verteidigungsanzeige mit Antrag auf Akteneinsicht
Rechtsanwalt Haupt |
Hannover, den _________________________ |
Staatsanwaltschaft Hannover
Volgersweg
30175 Hannover
19 Js 288/19
In dem Ermittlungsverfahren gegen
Klaus Müller,
geboren am 10.12.1990, wohnhaft Kramerstr. 10, 30123 Hannover
wegen des Verdachts des Raubes
zeige ich unter Beifügung der Vollmacht des Beschuldigten an, dass ich dessen Verteidigung übernommen habe.
Ich beantrage, mir
Akteneinsicht
durch Übersendung der Akte für drei Tage in meine Kanzlei zu gewähren. Fristgerechte Rückgabe der Akte wird anwaltlich versichert.
Rechtsanwalt
– Anlage –
2. Pflichtverteidigung
Rz. 48
In den in § 140 StPO genannten Fällen muss ein Verteidiger auch dann bestellt werden, wenn der Beschuldigte selbst keinen Verteidiger bestellt. Man spricht dann von der sog. notwendigen Verteidigung. Der bestellte Verteidiger ist Pflichtverteidiger, dessen Kosten von der Staatskasse übernommen werden. Bei der Auswahl des Pflichtverteidigers hat der Beschuldigte ein Mitspracherecht, § 142 Abs. 1 StPO.
Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt immer dann vor, wenn ein unverteidigter Beschuldigter sich mehr als drei Monate in Untersuchungshaft befindet, die Hauptverhandlung erster Instanz vor dem Land- oder Oberlandesgericht stattfindet, dem Beschuldigten ein Verbrechen, d.h. eine Straftat mit einer Mindeststrafe von einem Jahr, zur Last gelegt wird, oder ein Berufsverbot droht, § 140 Abs. 1 StPO. Weiterhin muss ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden, wenn die Schwere der Tat, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit eines Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, dies gebietet. Außer in den Fällen des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO wird der Pflichtverteidiger erst bestellt, wenn Anklage bereits erhoben ist, § 141 Abs. 2 StPO. Ausnahmsweise kann es jedoch sinnvoll und notwendig sein, bereits im Ermittlungsverfahren einen Pflichtverteidiger bestellen zu lassen. Die Bestellung erfolgt in diesen Fällen durch den Vorsitzenden des Gerichts, das bei Anklageerhebung für die Sache zuständig sein wird.
3. Verteidigerrechte
Rz. 49
Wahl- und Pflichtverteidiger haben die gleichen Rechte im Strafverfahren. Diese sind jedoch je nach Verfahrensstadium, in dem das Verfahren sich befindet, durch die StPO sehr unterschiedlich ausgeprägt.
a) Ermittlungsverfahren
Rz. 50
Im Ermittlungsverfahren hat ein Verteidiger nur relativ geringe Einflussmöglichkeiten. Zwar hat er, wenn sein Mandant sich in Untersuchungshaft befindet, ein umfassendes Recht auf unkontrollierte Kontakte mit dem Beschuldigten. Ihm steht jedoch anderseits vor dem Abschluss der Ermittlungen, der gem. § 169a StPO in den Akten zu vermerken ist, nicht einmal ein unbedingtes Akteneinsichtsrecht zu. Nach § 147 Abs. 2 StPO kann dem Verteidiger die Akteneinsicht, auf die er grds. Anspruch hat, nämlich dann verwehrt werden, wenn durch die Einsicht der Untersuchungszweck gefährdet werden würde. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft bereits aus der Akte ersichtliche, konkrete Ermittlungsmaßnahmen geplant hat, z.B. Durchsuchungen, für die bereits entsprechende richterliche Beschlüsse beantragt oder erwirkt wurden. Der Untersuchungszweck kann auch dann gefährdet sein, wenn sich anhand polizeilicher Vermerke oder infolge von Zeugenaussagen zwingende Ermittlungshandlungen wie die Vernehmung weiterer Zeugen, auf die der Beschuldigte Einfluss nehmen könnte, oder die Vornahme von Durchsuchungen ergeben.
Rz. 51
Besondere Aufgaben treffen den Verteidiger, wenn sich sein Mandant in Untersuchungshaft befindet. Das Rechtsinstitut der Untersuchungshaft ist äußerst problematisch. Es geht um die Frage, unter welchen Voraussetzungen und wie lange jemand in freiheitsentziehende staatliche Haft genommen werden darf, ohne dass eine strafrechtliche Verurteilung vorliegt. Wird jemand in Untersuchungshaft genommen, ist es denkbar, dass er nicht verurteilt wird und somit zu Unrecht in Haft war; auf der anderen Seite sind Fälle denkbar, bei denen jemand, der tatsächlich eine Straftat begangen hat, nicht in Untersuchungshaft genommen wurde und sich dann längere Zeit oder gar für immer der Strafverfolgung entziehen kann. Ziel des Verteidigers wird sein, die Untersuchungshaft für seinen Mandanten so schnell wie möglich zu beenden.
Rz. 52
Der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen der Untersuchungshaft in § 112 StPO dahingehend geregelt, dass neben einem dringenden Tatverdacht, also einer sehr hohen Verurteilungswahrsch...