Torsten Bendig, Dr. iur. Matthias Keller
a) Allgemeines
Rz. 110
Im Zusammenhang mit dem Verdacht auf Alkoholmissbrauch nennt § 13 Nr. 2 lit. a FeV zwei Begutachtungsanlässe:
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"Wenn nach dem ärztlichen Gutachten (gem. Nr. 1) zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder" |
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sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (…)“ |
und knüpft daran jeweils die Folge, dass der Betroffene ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen hat.
Rz. 111
Die erste Alternative (§ 13 Nr. 2 lit. a Alt. 1 FeV) für die Durchführung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) ist eng begrenzt und setzt voraus, dass zunächst ein ärztliches Gutachten nach § 13 Nr. 1 FeV angeordnet und vorgelegt worden ist und aus diesem Gutachten Anzeichen für einen Alkoholmissbrauch zu entnehmen sind. Dies dürfte in der Praxis eher selten vorkommen und soll daher nicht weiter erläutert werden.
b) "Sonst Tatsachen" als Auffangtatbestand
Rz. 112
Die zweitgenannte Alternative des § 13 Nr. 2 lit. a FeV ("sonst Tatsachen") ist sehr allgemein formuliert und wirft daher Auslegungsfragen auf. Im Regelungszusammenhang der Nr. 2 des § 13 FeV ist sie, was allerdings nicht unbestritten ist, als ein Auffangtatbestand für die Pflicht zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzusehen.
aa) "Sonst Tatsachen" und Grundrechte
Rz. 113
Nach dem Wortlaut der Vorschrift ("sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen") ist es als Anlass für die MPU nicht einmal erforderlich, dass die Tatsachen, welche den Verdacht auf Alkoholmissbrauch begründen, im Zusammenhang mit dem Verhalten im Straßenverkehr offenbar geworden sind. Vielmehr können "sonst Tatsachen" aus allen Lebenssituationen herrühren, namentlich aus der privaten Lebensführung des Betroffenen, etwa einer starken Alkoholisierung bei Geburtstagsfeiern, Karneval, Gaststättenbesuch, Familienstreitigkeiten etc. Allerdings steht die private Lebensführung unter dem Schutz des Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG. Dementsprechend ist aus verfassungsrechtlichen Gründen diejenige Schwelle zu bestimmen, ab der die Behörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens fordern darf. Dabei spielt die Funktion der MPU-Anforderung nach § 13 FeV eine maßgebliche Rolle. Die Anforderung dient der Aufklärung von Eignungsbedenken bei einer Alkoholproblematik. Dahinter steht eine mögliche Gefahr für Leben und körperliche Unversehrtheit der anderen Verkehrsteilnehmer und damit für Rechtsgüter, die nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Recht auf Leben und Gesundheit staatlich zu schützen sind.
bb) Gefahrerforschungseingriff
Rz. 114
Da es um die Ermittlung einer Gefahr geht, lässt sich der auslegungsbedürftige Tatbestand einer Gutachtenanforderung in § 13 Nr. 2 lit. a FeV ("sonst Tatsachen") als ein im Fahrerlaubnisrecht vorgesehener Gefahrerforschungseingriff begreifen. Gemessen daran ist die Anforderung einer MPU gerechtfertigt, wenn
1. |
aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des betroffenen Kraftfahrers bestehen und |
2. |
die angeordnete Überprüfung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären. |
cc) Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte
Rz. 115
Für die Anordnung der MPU bedarf es konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte. Demgegenüber sind Untersuchungen "ins Blaue hinein" ausgeschlossen. Bloße Vermutungen oder anonyme Hinweise rechtfertigen ebenso wenig eine Begutachtung. Auch der "Verdacht eines Verdachts" ist kein hinreichender Anlass für die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.
Rz. 116
Ob dabei die Tatsachen, an die der Verdacht anknüpft, der Betroffene könne Alkohol und Fahren nicht trennen, mit dem Straßenverkehr in einem Zusammenhang oder wenigstens in einem mittelbaren Zusammenhang stehen müssen, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich gesehen. Jedenfalls verlangt die Alkoholisierung ohne unmittelbare Verkehrsteilnahme eine besondere Betrachtung und Würdigung des Einzelfalls. Hier können Fallgruppen eine gewisse Orientierung bieten:
Berufskraftfahrer/Taxifahrer: |
MPU (Konfliktlage: Alkohol und Beruf) |
behaupteter Nachtrunk bis auf 2,16 ‰: |
MPU |
Ehestreit/Randale mit hoher BAK: |
keine MPU |
Rz. 117
Bei der Wertung im Einzelfall, ob eine aktenkundige Alkoholisierung ohne Verkehrsbezug ausreicht, den Verdacht auf Alkoholmissbrauch zu begründen, kann das Vorliegen einer früheren Trunkenheitsfahrt eine ausschlaggebende Rolle besitzen.
Rz. 118
Beispiel: Die alkoholisierte Mutter