Torsten Bendig, Dr. iur. Matthias Keller
aa) Anwendung von Nr. 2 des § 13 FeV
Rz. 119
Das Schlagwort "MPU unter 1,6 ‰" benennt eine aktuelle Diskussion, die um die Regelungssystematik des Nr. 2 des § 13 S. 1 FeV und seiner Tatbestände kreist.
Nr. 2 des § 13 S. 1 FeV knüpft die Pflicht zur Beibringung einer MPU u.a. an folgende Tatbestände:
Zitat
a) (...) sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen,
b) wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden,
c) ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr
(…) geführt wurde,
d) die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchst. a bis c genannten Gründe entzogen war (...)
Rz. 120
So stellt sich zum einen die Frage, ob Buchstabe c), der die Gutachtenanforderung von einer Blutalkoholkonzentration in Höhe von 1,6 ‰ und mehr abhängig macht, noch Raum lässt, auch unter 1,6 ‰ nach der allgemeinen Regelung in Buchstabe a) 2. Alt. ("sonst Tatsachen") ein medizinisch-psychologisches Gutachten vom Betroffenen zu fordern.
Rz. 121
Zum anderen bereitet die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Buchstaben d) Schwierigkeiten. Nach diesem Tatbestand ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der unter "Buchstaben a) bis c) genannten Gründe" entzogen war. Hat beispielsweise das Strafgericht die Fahrerlaubnis wegen einer BAK von 1,4 ‰ nach § 69 StGB entzogen, liegt der Tatbestand des Buchstaben c) ("1,6 ‰") nicht vor. Es könnte aber wiederum die allgemeine Regelung in Buchstabe a) 2. Alt. ("sonst Tatsachen") in Betracht kommen.
Es ist daher zu bestimmen, im welchen Verhältnis die angesprochenen Tatbestände zueinander stehen.
bb) § 13 FeV Nr. 2: Buchstabe c) und Buchstabe a)
Rz. 122
Die Regelungssystematik des § 13 Nr. 2 FeV verlangt, dass der spezielle Schwellenwert von 1,6 ‰, den Buchstabe c) regelt, angewandt und nicht "weginterpretiert" wird.
Rz. 123
Indes besteht diese Gefahr der Umgehung des Verordnungstexts nicht, wenn der Sachverhalt Besonderheiten besitzt, die den Regelungsanspruch des Buchstaben c), der einzig an die Promillezahl anknüpft, zurücktreten lassen. Das ist dann der Fall, wenn sogenannte "Zusatztatsachen" (etwa Anzeichen besonderer Alkoholgewöhnung beim Betroffenen) bestehen, die bei einer Zusammenschau mit einer erheblichen Alkoholisierung, als sonstige Tatsachen i.S.d. Buchstaben a) die Annahme eines straßenverkehrsrechtlichen Kontrollverlusts und damit den Verdacht auf Alkoholmissbrauch rechtfertigen.
Beispiel: MPU unter 1,6 ‰ bei Zusatztatsachen
Der A führt ein Kraftfahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,5 ‰ (§ 316 StGB). Sein aktenkundiges Verhalten bei der Blutentnahme (Torkelbogen) lässt auf eine überdurchschnittlich hohe Alkoholgewöhnung schließen.
Eine MPU ist nach dem allgemeinen Tatbestand in Buchstabe a) des § 13 Nr. 2 beizubringen. Die überdurchschnittlich hohe Alkoholgewöhnung ist eine zusätzliche Tatsache, welche die Anwendung des speziellen Tatbestands in Buchstabe c) des § 13 Nr. 2 FeV ausschließt.
cc) "Zusatztatsachen"-Rechtsprechung
Rz. 124
Das Normverständnis, wonach bei der Anwendung des § 13 Nr. 2 FeV die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der allgemeinen Regelung in Buchstabe a) 2. Alt von der speziellen Grenzwertregelung in Buchstabe c) maßgeblich vom Vorliegen sog. "Zusatztatsachen" abhängt, wird vom VGH BW im Urt. v. 18.6.2012 – 10 S 452/10, Rn 53, veröffentlicht über juris, wie folgt zusammengefasst:
Zitat
"Allerdings rechtfertigt eine einmalige Alkoholfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 ‰ nach dem Willen des Verordnungsgebers für sich genommen nicht die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf der Grundlage des § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV. Dies folgt aus dem systematischen Zusammenhang mit der spezielleren Regelung des § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. c FeV, wonach bei einer einmaligen Alkoholfahrt die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (nur) angeordnet wird, wenn bei der Trunkenheitsfahrt eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr nachgewiesen wurde. Vor diesem Hintergrund ist § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a FeV so zu verstehen, dass er in Fällen, in denen wie hier nur eine einmalige Alkoholfahrt mit geringerer Blutalkoholkonzentration vorliegt, die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nur erlaubt, wenn zusätzliche konkrete Anzeichen für einen Alkoholmissbrauch im straßenverkehrsrechtlichen Sinne vorliegen, also dafür, dass der Betroffene generell zwischen einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und dem Fahren nicht zu trennen vermag." (Hervorhebung durch den Verf.)
Fehlt es an Zusatztatsachen im Sinne der Rechtsprechung, ist die medizinisch-psychologische Untersuchung nur dann erforderlich, wenn der Betroffene den Grenzwert von 1,6 ‰ überschritten hat. Dagegen darf die Straßenverkehrsbehörde bei ihrer Gutachtenanforderung nicht verstoßen.
Rz. 125
Muster 47.8: Rüge eines Verstoßes gegen den 1,6 ‰-Grenzwert
Muster 47.8: Rüge eines Verstoßes gegen den 1,6 ‰-Grenzwert
Die ergangene Ordnungsverfü...