Torsten Bendig, Dr. iur. Matthias Keller
I. Allgemeines
Rz. 97
Wer als Inhaber einer Fahrerlaubnis die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs verloren hat, stellt eine Gefahr für sich und Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer dar. Angesichts der überragenden Bedeutung der in diesem Fall zu schützenden Rechtsgüter darf die Schwelle des behördlichen Einschreitens schon aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG: Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) nicht zu hoch angesetzt werden.
Rz. 98
Eine effektive Gefahrenabwehr verlangt es, dass die Straßenverkehrsbehörden tätig werden, wenn ein – z.B. von der Polizei nach § 2 Abs. 12 StVG – mitgeteilter Sachverhalt in der Lage ist, Zweifel an der Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zu wecken. In § 46 Abs. 3 FeV findet sich dazu folgende Verweisung auf die Erteilungsvorschriften:
Zitat
§ 46 Abs. 3 FeV
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 entsprechend Anwendung.
Rz. 99
Die für anwendbar erklärten Vorschriften der §§ 11, 12, 13 und 14 FeV beinhalten ein ausdifferenziertes System zur behördlichen Sachverhaltsaufklärung. Nach ihrem Wortlaut regeln diese Vorschriften die Eignung und Befähigung, welche die Bewerber einer Fahrerlaubnis besitzen müssen. Die nach § 46 Abs. 3 FeV vorgesehene Anwendung auf Inhaber einer Fahrerlaubnis muss daher sinngemäß erfolgen.
II. Verweigerung der Mitwirkung
Rz. 100
Weigert sich der betroffene Fahrerlaubnisinhaber trotz bestehender Eignungsbedenken an der Sachverhaltsaufklärung, etwa durch Vorlage eines von der Behörde geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens, mitzuwirken, so darf seine Ungeeignetheit aus dieser Weigerung geschlossen werden. Dies folgt aus § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV. Dort heißt es:
Zitat
§ 11 Abs. 8 FeV
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Betroffene ist hierauf bei der Anordnung (…) hinzuweisen.
Rz. 101
Mit der Annahme der Ungeeignetheit des Betroffenen hat der Verordnungsgeber eine eingriffsintensive Rechtsfolge geschaffen, deren Voraussetzungen im Einzelfall genau zu überprüfen sind. So entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass eine unbeachtet gebliebene Aufforderung zur Gutachtenbeibringung nur dann die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 FeV nach sich zieht, wenn diese Anforderung formell und materiell rechtmäßig ergangen, insbesondere als anlassbezogen und verhältnismäßig anzusehen ist.
Rz. 102
Es tritt ein Problem der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) hinzu: Eine behördliche Gutachtenanforderung der Fahrerlaubnisbehörde ist jedenfalls nach derzeitiger Rechtslage mangels Verwaltungsaktqualität nicht (!) direkt anfechtbar.
Rz. 103
Der Betroffene muss also genau prüfen und erkennen können, ob die behördliche Gutachtenanforderungen den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kann er das nicht unerhebliche Risiko eingehen, dass ihm zunächst wegen seiner Weigerung die Fahrerlaubnis entzogen wird, um danach zu versuchen, mit Blick auf die fehlerhafte Gutachtenanforderung beim Verwaltungsgericht eine Aussetzungs- bzw. Aufhebungsentscheidung des Fahrerlaubnisentzugs zu erreichen.
III. Eignungszweifel bei Alkoholproblematik
Rz. 104
Speziell für den Bereich der Alkoholproblematik ermächtigt § 13 FeV die Behörde zu einer Anordnung, die dem Betroffenen aufgibt,
▪ |
nach Nr. 1 ein ärztliches Gutachten oder |
▪ |
nach Nr. 2 ein (eingriffsintensiveres) medizinisch-psychologisches Gutachten |
beizubringen. Dieser Normaufbau spiegelt den Grundsatz der abgestuften Vorgehensweise und damit der verfassungsrechtlich geforderten Verhältnismäßigkeit wider.
1. Alkoholabhängigkeit (§ 13 Nr. 1 FeV)
Rz. 105
Wenn Tatsachen die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründen, so knüpft Nr. 1 des § 13 FeV daran die Folge, dass der Betroffene ein ärztliches Gutachten (§ 11 Abs. 2 S. 3 FeV) beizubringen hat. Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit. Es reicht daher aus, wenn das Bestehen oder Nichtbestehen des Abhängigkeitssyndroms von einem Facharzt diagnostiziert wird; ein medizinisch-psychologisches Gutachten ist nicht erforderlich und daher auch nicht zulässig.
Rz. 106
Muster 47.7: Einwand gegen Doppelbegutachtung durch MPU bei Alkoholabhängigkeit
Muster 47.7: Einwand gegen Doppelbegutachtung durch MPU bei Alkoholabhängigkeit
Die ergangene Ordnungsverfügung vom _________________________ über die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Androhung eines Zwangsgeldes zur Vorlage des Führerscheindokuments ist rechtswidrig und daher aufzuheben.
Die Straßenverkehrsbehörde hätte _________________________ (Mandant) nicht als fahrungeeignet behandeln ...