Torsten Bendig, Dr. iur. Matthias Keller
1. Grundlagen
Rz. 46
Anlage 4 zur FeV betrifft die Eignung und bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Für die große Masse der auf eine Alkohol- oder Drogenproblematik beruhenden Entziehungsverfahren spielen diese Vorgaben die entscheidende Rolle.
Rz. 47
Die Anlage 4 zur FeV besitzt Rechtsnormcharakter. Allerdings liest sich ihr Text wie eine medizinische Tabelle, weil hier das frühere Gutachten "Krankheit und Kraftverkehr" des gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesverkehrsministerium mit seinen Erkenntnissen eingeflossen ist. Die Bewertungen der Anlage 4 zur FeV können vielfach erst dann eingreifen, wenn zuvor die genannten Krankheitsbilder (Beispiel: "Alkoholabhängigkeit" in Nr. 8.3) im Wege der Begutachtung festgestellt worden sind. Damit sich diese Begutachtungen nach einheitlichen und aktuellen Standards richten, hat die Bundesanstalt für Straßenwesen im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums die aktuellen Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 erarbeitet, die im Verkehrsblatt (VkBl. S. 110) veröffentlicht worden sind.
Rz. 48
Zudem sind diese Begutachtungsleitlinien mit der durch Verordnung (BGBl I 2014, 357) eingeführten Anlage 4a zum Normbestandteil geworden und gelten seit 1.5.2014.
Zitat
FeV, Anlage 4a (zu § 11 Abs. 5) Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten
Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind die Begutachtungs-Leitlinien für Kraftfahreignung vom 27.1.2014 (VkBl. S. 110). …
2. Die Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV
Rz. 49
Die Anlage 4 zur FeV beginnt mit einer Vorbemerkung. Damit zeigt die Norm noch eine gewisse Verbindung zum gutachterlichen Hintergrund, aus dem sie hervorgegangen ist. Die Vorbemerkung besteht aus drei Abschnitten und trifft Aussagen über
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den Inhalt der Anlage 4 (Nr. 1), |
▪ |
die Feststellung der Eignung durch die Begutachtung (Nr. 2), |
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die Anwendbarkeit im Regelfall, die Möglichkeit der Kompensation, die Begutachtung (Nr. 3). |
Rz. 50
Zitat
Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV
1. |
Die nachstehende Aufstellung enthält häufiger vorkommende Erkrankungen und Mängel, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. Nicht aufgenommen sind Erkrankungen, die seltener vorkommen oder nur kurzzeitig andauern (z.B. grippale Infekte, akute infektiöse Magen-/Darmstörungen, Migräne, Heuschnupfen, Asthma). |
2. |
Grundlage der im Rahmen der §§ 11, 13 oder 14 vorzunehmenden Beurteilung, ob im Einzelfall Eignung oder bedingte Eignung vorliegt, ist in der Regel ein ärztliches Gutachten (§ 11 Abs. 2 S. 3), in besonderen Fällen ein medizinisch-psychologisches Gutachten (§ 11 Abs. 3) oder ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (§ 11 Abs. 4). |
3. |
Die nachstehend vorgenommenen Bewertungen gelten für den Regelfall. Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen sind möglich. Ergeben sich im Einzelfall in dieser Hinsicht Zweifel, kann eine medizinisch-psychologische Begutachtung angezeigt sein. |
Rz. 51
Nr. 1 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV ist aus sich heraus verständlich.
Nr. 2 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV stellt klar, dass Eignungszweifel im Einzelfall nur durch die dafür vorgesehene Begutachtung ausgeräumt bzw. bekräftigt werden können.
Die Fahrerlaubnis-Verordnung benennt einzelne Anknüpfungstatsachen für Eignungszweifel und ordnet der jeweiligen Problematik jeweils eine bestimmte Begutachtung zu.
In § 11 FeV geschieht dies allgemein und in § 13 FeV speziell für die Alkoholproblematik sowie in § 14 FeV eigens für die Betäubungs- und Arzneimittelproblematik. Dementsprechend gilt: Werden Tatsachen bekannt, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 hinweisen (§§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 2 S. 2 FeV), bedarf es für die einzelfallbezogene Feststellung über die Eignung oder Nichteignung grds. der einschlägigen Begutachtung (z.B. durch ärztliches Gutachten, medizinisch-psychologisches Gutachten, ausschließlich psychologisches Gutachten, Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen usw.).
Nr. 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV enthält eine wichtige Einschränkung des Anwendungsbereichs. Die in der Tabelle vorgenommenen Bewertungen der Eignung und bedingten Eignung gelten allein für den Regelfall.
Dies kann zu rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Fahrerlaubnisbehörde führen und bedarf daher der näheren Betrachtung.
3. Regelfall und Atypik (Nr. 3 der Vorbemerkung)
Rz. 52
In einem durch Entscheidungsroutinen geprägten Behördenalltag kann es leicht passieren, dass die Vorgabe, wonach die Bewertungen der Anlage 4 nur für den Regelfall gelten, ohne Berücksichtigung bleibt. Hier hat die anwaltliche Beratung einzugreifen. Aufgabe des Rechtsanwalts ist es, eine bestehende Atypik herauszuarbeiten und im Verwaltungs(gerichts)verfahren geltend zu machen. Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist Nr. 3 der Vorbemerkung Anlage 4 zur FeV. D...