Torsten Bendig, Dr. iur. Matthias Keller
A. Einführung in die Problematik
I. Fragestellung
Rz. 1
In der anwaltlichen Beratungspraxis läuft die Thematik "EU-Führerscheine" typischerweise auf folgende Fragestellung hinaus: Ist die deutsche Straßenverkehrsbehörde verpflichtet, den ausländischen EU-Führerschein des Mandanten anzuerkennen oder darf sie führerscheinrechtliche Maßnahmen gegen ihn einleiten?
II. Führerschein-Tourismus
Rz. 2
Problemhintergrund ist häufig der sog. "Führerschein-Tourismus": In Deutschland kommt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Entzug (etwa wegen Alkohol- oder Drogenmissbrauchs) regelmäßig nur dann in Betracht, wenn der Fahrerlaubnisbewerber eine stabile Verhaltensänderung durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung nachweist. Aus diesem Grund begeben sich Fahrerlaubnisbewerber in einen anderen EU-Mitgliedstaat, der eine solche – insbesondere psychologische – Untersuchung nicht verlangt, und lassen sich dort einen EU-Führerschein erteilen. Nach Rückkehr verlangen sie die Anerkennung des ausländischen EU-Führerscheins für das Bundesgebiet.
III. Vorrang des Unionsrechts
Rz. 3
Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen hat stets der (Anwendungs-) Vorrang des Unionsrechts zu sein. Vorrangig zu berücksichtigen sind damit insbesondere
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die EU-Richtlinien über den Führerschein, |
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der Grundsatz der Anerkennung von EU-Führerscheinen, |
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die Ausnahmetatbestände der Nichtanerkennung von EU-Führerscheinen und |
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das durch die Rechtsprechung des EuGH in Führerscheinsachen entstandene "Fallrecht". |
In diesem Bereich beschränkt sich die Aufgabe des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers, EU-Vorgaben, insbesondere die des EU-Richtlinienrechts, ordnungsgemäß umzusetzen.
IV. Umsetzungsrecht in §§ 28, 29 FeV
Rz. 4
In Deutschland beinhalten §§ 28, 29 FeV die wesentlichen Voraussetzungen zur Anerkennung ausländischer EU-Fahrerlaubnisse. Vor dem Hintergrund des "Führerschein-Tourismus" sind diese Voraussetzungen im Zweifel eher restriktiv gefasst. Wenn EU-Vorgaben eine großzügigere Anerkennung von EU-Führerscheinen verlangen, ist die deutsche Behörden- und Gerichtspraxis daran gebunden. Sie müssen einen nach §§ 28, 29 FeV an sich einschlägigen Tatbestand der Nichtanerkennung von EU-Führerscheinen unangewendet lassen.
Rz. 5
Der 53. Deutsche Verkehrsgerichtstag 2015 hat sich mit dieser Problematik näher befasst. Die dortige Diskussion im Arbeitskreis I bietet eine gute Beurteilungsgrundlage für die anwaltliche Beratung, ob ein Verwaltungsprozess zur Durchsetzung von EU-Vorgaben bei der (Nicht-)Anerkennung von EU-Führerscheinen erfolgreich sein kann. Heranzuziehen ist das von Zwergergehaltene Referat, das u.a. zu dem Ergebnis gelangt, dass § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 FeV (entsprechend Nr. 9 FeV) sowie § 29 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 FeV als unionsrechtswidrig anzusehen sind, soweit sie für die Nichtanerkennung der EU-Fahrerlaubnis in Deutschland an die folgenden Tatbestände anknüpfen:
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Versagung des Führerscheins, |
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Entzug des Führerscheins und |
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Verzichts des Führerscheins. |
Diese gravierenden Bedenken an der Europarechtskonformität ergeben sich mit Blick auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen, den es zu beleuchten gilt.
B. Anerkennungsgrundsatz
Rz. 6
Die im Jahr 1991 verabschiedete Zweite Führerschein-Richtlinie (91/439) und die im Jahr 2006 verabschiedete Dritte Führerschein-Richtlinie (2006/126) enthalten – gleichlautend – folgenden grundlegenden Passus:
Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.
Das Unionsrecht stellt damit den Grundsatz der gegenseitigen unbefristeten Anerkennung der EU-Führerscheine auf.
Rz. 7
Der EuGH hat diesen Grundsatz in seiner Rechtsprechung weiter ausgeformt und dabei verdeutlicht, dass die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine damit "ohne jede Formalität" vorgenommen werden müsse. Die Mitgliedstaaten treffe nämlich eine klare und unbedingte Verpflichtung, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräume, die zu erlassen seien, um dieser Verpflichtung nachzukommen.
Rz. 8
Muster 48.1: Feststellung der Inlandsgültigkeit einer EU-Fahrerlaubnis
Muster 48.1: Feststellung der Inlandsgültigkeit einer EU-Fahrerlaubnis
Verwaltungsgericht
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Kläger _________________________ ./. Beklagte _________________________
Aktenzeichen: _________________________
wegen: Gültigkeit einer EU-Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deu...