Rz. 44

Ein Kraftfahrer muss dann reagieren, wenn z.B. ein Fußgänger eindeutig für ihn als Gefahr zu erkennen ist. Es wird deshalb zunächst die Zeitspanne berechnet, die der Fußgänger von diesem Punkt bis zum Kollisionsort benötigte.

 

Rz. 45

Nachdem die von dem Kraftfahrer gefahrene Geschwindigkeit ermittelt ist, wird die Wegstrecke errechnet, die das Fahrzeug in der Zeit der Fußgängerbewegung zurückgelegt hat, und man findet so den Orts-/Zeitpunkt, an dem der Kraftfahrer spätestens hätte reagieren müssen.

 

Rz. 46

In diesem Zusammenhang ist die Gehgeschwindigkeit des Fußgängers naturgemäß von Bedeutung. Je höher die Bewegungsgeschwindigkeit des Fußgängers war, desto geringer war die dem Kraftfahrer zur Reaktion verbleibende Zeitspanne. Die Verteidigung ist i.d.R. deshalb an einer möglichst hohen Bewegungsgeschwindigkeit des Fußgängers interessiert. Bewegungsgeschwindigkeiten von Fußgängern haben die Sachverständigen Himbert/Eberhardt – gestaffelt nach Alter, Geschlecht und den Bewegungsarten – untersucht.[3]

 

Rz. 47

Einige Beispiele für von Fußgängern erreichbare Maximalgeschwindigkeiten sind in der nachfolgenden Tabelle aufgelistet.

 
  rennen laufen schnell gehen gehen
Junge: 3–3,5 Jahre 2,5 m/s 1,6 m/s 1,3 m/s 0,9 m/s
Mann: 40–50 Jahre 6,6 m/s 3,8 m/s 2,0 m/s 1,5 m/s
Gesunde Frau: 80–88 Jahre 1,8 m/s 1,6 m/s 1,3 m/s 1,0 m/s
 

Rz. 48

Die auf eine rechtzeitige Reaktion abzielenden Vermeidbarkeitsbetrachtungen spielen vorrangig bei einem – in Fahrtrichtung des Kraftfahrers gesehen – von links kommenden Fußgänger eine Rolle. Der von links kommende Fußgänger ist i.d.R. über eine längere Zeitspanne für den Kraftfahrer erkennbar und kann in diesem Zusammenhang früher als Gefahrensituation erkannt werden als ein von rechts, möglicherweise durch geparkte Fahrzeuge hindurch tretender Fußgänger.

 

Rz. 49

Insofern kommt auch der Bestimmung der Gehrichtung eine entscheidende Bedeutung zu. Rechtsmediziner können die Gehrichtung anhand des beim Anfahren des Fußgängers entstehenden Knochenbruchbildes erkennen. Die Bruchstelle bildet sich hierbei als ein Dreieck aus, wobei die Dreieckspitze in die Pkw-Fahrtrichtung zeigt und damit einen Rückschluss auf die Fußgängergehrichtung ermöglicht. Ebenso kann der technische Sachverständige oftmals anhand von Beschädigungen an der Oberbekleidung (Hose etc.) auf die Stellung des Fußgängers zum Anstoßzeitpunkt schließen. Des Weiteren kann die Gehrichtung von Sachverständigen anhand eines so genannten Beulenversatzes am Pkw bestimmt werden. Danach soll die Richtung, in der der Fußgänger-Fahrzeugkontakt im Verhältnis zum Erstkontakt verschoben ist, die Gehrichtung erkennen lassen.

 

Rz. 50

Ein solcher Schluss kann jedoch allenfalls aus einem erheblichen Beulenversatz und auch nur dann gezogen werden, wenn ausgeschlossen werden kann, dass nicht etwa vom Fußgänger mitgeführte Gegenstände den Zweitkontakt gesetzt haben oder dass der Fußgänger sich zum Anstoßzeitpunkt nicht bereits in einer Rücklage befand.

 

Rz. 51

 

Achtung

Es ist sinnlos, die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen – Fußgänger von links – mit der Behauptung anzugreifen, tatsächlich sei der Fußgänger von rechts gekommen und sei nur deshalb in der vom Sachverständigen ermittelten Haltung angefahren worden, weil er sich beim Erkennen der Gefahr umgedreht habe, um zum Bürgersteig zurückzukehren. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist die für eine Drehbewegung erforderliche Zeitspanne hinreichend groß, dass dann von einer Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens ausgegangen werden kann.

[3] Himbert/Eberhardt, eigener Verlag: Schulstraße 16, 66793 Saarwellingen.

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