I. Im Vorverfahren
Rz. 3
Im Vorverfahren wählen Polizei und Staatsanwaltschaft die Sachverständigen aus, ohne dass der Beschuldigte praktisch eine Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeit hätte. Dem Verteidiger soll zwar nach Nr. 70 der RiStBV vor der Auswahl eines Sachverständigen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Dies gilt nach h.M. jedoch nicht in Routineangelegenheiten wie Verkehrsgutachten. So kommt es, dass Polizei und Staatsanwaltschaft immer wieder "ihre" Sachverständigen beauftragen können.
Rz. 4
Die damit verbundene Gefahr liegt auf der Hand, zumal die Gerichte diese Sachverständigen regelmäßig in das Hauptverfahren übernehmen.
Rz. 5
Achtung: Überprüfung eines technischen Sachverständigengutachtens
Ein Verkehrsrechtsanwalt muss einfache unfallanalytische Gutachten zumindest auf Plausibilität hin selbst überprüfen können.
Rz. 6
Zeit-Weg-Tabellen (siehe § 48 Rdn 58) ersparen ihm das Rechnen mit Formeln. Es wäre ohnehin unsinnig, die von Sachverständigen verwandten mathematischen Formeln nachrechnen zu wollen. Der Anwalt muss vielmehr vor allem wissen, wie sich eine Veränderung der zugrunde gelegten Größen auf das Ergebnis des Gutachtens auswirkt.
Rz. 7
Achtung: Kosten eines Privatgutachtens
Die Aufwendungen für ein privat eingeholtes Gutachten (mit dem sich das Gericht spätestens im Urteil auseinandersetzen muss, OLG Jena DAR 2013, 161) werden auch im Falle eines Freispruchs nur unter bestimmten Voraussetzungen gem. § 464a Abs. 2 StPO ersetzt (OLG Düsseldorf StraFo 1997, 351), sie sind jedoch dann zu ersetzen, wenn sich das Gutachten entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen ausgewirkt hat (LG Aachen NZV 2018, 480) oder das Verfahren eingestellt wurde, wobei es nicht darauf ankommt, ob das Gutachten hierfür kausal war (LG Wuppertal NZV 2019, 157).
Rz. 8
Ist der Mandant rechtsschutzversichert, kann bereits im Vorverfahren auf Kosten des Rechtsschutzversicherers ein eigenes Sachverständigengutachten eingeholt werden (siehe § 15 Rdn 35 ff.). Besteht keine Rechtsschutzversicherung, ist zumindest bei schweren Unfällen an die Kostenübernahmemöglichkeit des Haftpflichtversicherers zu denken (siehe § 14 Rdn 1).
Rz. 9
Tipp
Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der Verkehrsrechtsanwälte haben darüber hinaus die Möglichkeit, von erfahrenen Unfallanalytikern kostenlos bzw. gegen eine geringe Gebühr das von der Staatsanwaltschaft eingeholte Sachverständigengutachten auf seine Plausibilität hin überprüfen zu lassen. Danach erst muss entschieden werden, ob die Erteilung eines kostenträchtigen, umfassenden Gutachtens sinnvoll ist.
Rz. 10
Achtung
Der von der Verteidigung mit der Erstellung oder der Überprüfung eines Gutachtens beauftragte Sachverständige hat nach h.M. kein Berufshelferaussageverweigerungsrecht gem. § 53a StPO (LG Essen StraFo 1996, 92). Erfährt das Gericht oder die Staatsanwaltschaft (z.B. dadurch, dass der Sachverständige Einsicht in die Original-Fotos benötigt), dass die Verteidigung einen Sachverständigen beauftragt hat, besteht die Gefahr, dass der Sachverständige als Zeuge vernommen wird. Er könnte dann auch zu den ihm gegenüber gemachten Angaben des Angeklagten vernommen werden.
II. Im Hauptverfahren
Rz. 11
Bei der Auswahl des Sachverständigen ist der Richter weitgehend frei. Zwar sollen nach § 72 StPO nur öffentlich bestellte Sachverständige beauftragt werden, nach h.M. handelt es sich dabei aber lediglich um eine "Sollvorschrift", deren Nichtbeachtung ohne Konsequenzen bleibt.
Rz. 12
Die Auswahlfreiheit hat erst dort ihre Grenzen, wo es überlegenes Fachwissen bestimmter Disziplinen gibt. So ist z.B. bei einem Dunkelheitsunfall der Lichttechniker, bei Fragen der Schuldfähigkeit eines Alkoholfahrers der Rechtsmediziner bzw. wenn weitere Gründe eine Rolle spielen können, der Psychiater hinzuzuziehen.
Rz. 13
Tipp
Hat der Verteidiger nicht die Möglichkeit, den gewünschten Sachverständigen über § 220 StPO (siehe Rdn 24 ff.) in die Hauptverhandlung einzuführen, kann er ihm in der Rolle eines Gehilfen der Verteidigung (§ 53a StPO) ein Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung verschaffen, damit er dort den Verteidiger beraten kann (zum Problem siehe LG Hannover StraFo 2001, 167).